Entstehung Patriarchat: Hirtentum und Besitz kommen in die Welt

Teil 4 / 12 der Serie Entstehung Patriarchat

Kirchenfenster im Land der Hirten/Cowboys - Punta Gorda, Florida Im vorigen Teil haben wir gehört, dass die hungernden Menschen die wandernden wilden Tiere verfolgten und so zu Nomaden wurden. Aber sie waren keine Hirten!

Das Hirtentum entwickelte sich erst, als die Nomaden begannen den Nahrungskonkurrenten den gewohnten Zugang zu den Herden, denen sie folgten, zu versperren.

Sie nahmen die Herden für sich allein in Anspruch und beendeten das Teilen.

Während sich dieses ausgrenzende Verhalten über die Jahre und Jahrhunderte zur Alltäglichkeit entwickelte, wurde es durch die aufwachsenden Kinder von Generation zu Generation als Sitte weiter gegeben.

Die Lebensform der Hirten kann sich ohne fundamentale emotionale Veränderungen nicht vollzogen haben, die sie überhaupt erst ermöglichten. Diese emotionalen Veränderungen müssen während eines Prozesses stattgefunden haben, den man als „Akzeptanz des Hirtentums an sich“ bezeichnen kann. Was genau war während dieses Prozesses geschehen?

Der erste Schritt war die unbewusste Ergreifung von Besitz, d.h. die Ab- oder Ausgrenzung von Nahrungskonkurrenten, denen der gewohnte Zugang zu ihrem Futter (der Herde) verweigert wurde. Die praktische Durchführung eine solche Grenze zu ziehen, muss dazu geführt haben, die an der Herde partizipierenden Raubtiere zu töten.

Ein Tier zu erlegen war für die damaligen Menschen nichts Neues; die Jäger der Wildbeutergesellschaften töteten schon immer Waldtiere, Vögel und Fische und leisteten so einen Beitrag zur Versorgung ihrer Gemeinschaft. Aber ein Tier zu töten, um etwas zu essen zu haben oder ein Tier zu töten, um es systematisch von seinen angestammten Nahrungsquellen fern zu halten sind Handlungen, die sehr verschiedene emotionale Vorbedingungen erfordern.

Im ersten Fall führt der Jäger ein heiliges Ritual aus, eine Handlung, die im Zusammenhang mit dem Lebenskreislauf an sich steht: Ein Leben wird genommen, damit ein anderes leben kann. Von Indianervölkern ist bekannt, dass sie Tiere zuerst betäuben, bevor sie sie töten. Ureinwohner, die sich patriarchalen Einflüssen entziehen konnten, stehen in enger spiritueller Beziehung zur Tier- und Pflanzenwelt, vgl. Totem.

Im zweiten Fall zielt der Mörder direkt und in erster Linie auf den Tod des Tieres, um andere auszuschließen. Neues Wachstum zu fördern oder dem natürlichen Zyklus zu dienen wird zweitrangig und verliert im Laufe der Zeit nicht nur an Bedeutung, sondern der ursprüngliche Sinn und das Wissen darum gehen gänzlich verloren.

Hier wird Leben zerstört, um Eigentum – genauer Privateigentum – zu erwerben; und umgekehrt ist Eigentum definierbar exakt durch diese Handlung. Die Emotionen, die solche unterschiedlichen Aktionen hervorrufen sind diametral entgegengesetzt.

Im ersten Fall sind die Jäger, die dem erjagten Wild das Leben nehmen, erfreut (und mit ihnen das ganze Dorf). Im zweiten Fall stellte das getötete Tier eine Bedrohung für die Menschen gemachte, durch die Entwicklung zum Hirtentum gefestigte, neue Ordnung dar, wo die Personen, die das Tier töten stolz sind und die Ausgegrenzten neidisch (siehe dazu „Der Zusammenhang zwischen Privatbesitz, Herrschaft und Eifersucht von Ernest Bornemann).

Deshalb verwende ich den Begriff ‚Jäger’ in der ersten Situation und ‚Mörder’ in der zweiten (Mord, im Unterschied zu Totschlag; zu „Mord und Totschlag“ komme ich noch). Beachte, dass in dem Moment, wo die Emotionen Freude/Stolz durch die entsprechenden Handlungen sichtbar werden, das Tier im ersten Fall zum Freund, im zweiten zum Feind wird!

Auf diese Weise ist durch die Entstehung des Hirtentums ‚der Feind’ entstanden, der Feind als derjenige, dessen Leben im Kampf genommen wird, um in den Besitz von etwas zu kommen und dadurch eine neue Ordnung abzusichern.

Vertrauens-Verlust

Zusätzlich kam eine Einbuße an Vertrauen hinzu. Denn nun war ständige Aufmerksamkeit nötig, die Herde zu beschützen und andere Nahrungssucher fern zu halten. Das Gefühl der dauerhaften Unsicherheit entstand.

Und damit nicht genug: Aus dieser Unsicherheit bildete sich eine bestimmte Überzeugung beim Töten und Ausgrenzen von Tieren. Die neue emotionale Prägung und die dazugehörigen Handlungen verursachten Feindschaft.

Feindschaft, als ein sich ständig wiederholendes Verlangen, das Andere als das Bedrohliche abzulehnen. Mit Feindschaft tauchte der Feind auf und als Folge davon fungierten die vormals heiligen Jagdinstrumente als Waffen, denn sie wurden nun zum Ermorden von ‚feindlichen’ Nahrungssuchern verwendet.

Fassen wir zusammen: Durch Behinderung anderer zu natürlichen Nahrungsquellen entstand Hirtentum. Dabei wurden Tierherden in Besitz genommen. Diese Gewohnheit des Behinderns beim Zugang zu Ressourcen entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Charakteristikum der allgemeinen Lebensweise. Diese Lebensweise wurde durch die Generationen weiter gegeben und prägt bis heute unseren Alltag.

Die Geisteshaltung patriarchalen Hirtenlebens wurde in die normale Lebensform des neuen Paradigmas integriert, unabhängig davon, ob Hirtentum (durch Hüten von Herden) ausgeübt wird oder nicht.

Obwohl die ursprüngliche Notsituation nicht mehr gegeben ist, wurden/werden die Kinder jahrtausendelang unter dem Schirm dieser Geisteshaltung konditioniert.

10 Kommentare

  • ameli

    Zu diesem Thema Jäger / Hirten fällt mir die Geschichte von Jakob und Esau im Alten Testament ein.
    Der Vater, Isaak, will seinen Sohn Esau, den Jäger, segnen. Jakob, der Hirte erschleicht sich den Segen.
    Dies scheint mir die archaische Beschreibung des oben genannten Sachverhaltes zu sein.

  • @ameli – Gut erkannt. Sehe ich auch so. In der Bibel steht die ganze Geschichte drin. Man muss sie nur als Klartext und nicht als mystisch-mythisches Symbolik-Puzzle auffassen, das der Interpretation bedarf.

    Zu den Bibelinhalten komme ich noch, das ist mein Lieblingsteil 🙂
    Aber wenn euch vorher Parallelen auffallen, nur her damit!

  • Liebe Hannelore,

    das ist sehr spannend, wie Du die einzelnen Schritte der Entwicklung schilderst. Ich lese diese Reihe sehr gerne

    rainers letzter Blog-Beitrag…Mißgunst

  • eve

    Liebe Hannelore, Ihre Gedankengänge inspirieren mich und decken immer wieder Parallelen zu meinem Soziologiestudium auf:

    Bei diesem Artikel muss ich an Max Webers Versuch denken, den Ursprung des Kapitalismus zu erklären. Obwohl er mit der protestantischen Religion argumentiert, um den Wunsch nach Akkumulation und Kapitalbildung zu erklären, so ist der Effekt der „Brauchübertragung“ derselbe: Der ursprüngliche Glaube an (den christlichen) Gott ist mit der Zeit verschwunden, während die Gewohnheit des Sparens und Anlegens uns in Blut übergegangen ist.

  • Toni

    Hallo Hannelore

    Dürfen indigene Völker kleine Gegenstände besitzen oder gehört alles der Gemeinschaft? Ich finde man sollte das Privateigentum gar nicht so verteufeln. Das klingt als hätte der Mensch kein Recht etwas zu besitzen. So etwas hatten wir schon in Diktaturen z.B. im Stalinismus.

    • Toni, es geht nicht um Persönliches (wie Schmuck, Werkzeug), sondern um Privatebesitz im Unterschied zu Gemeingut.
      Privatbesitz hat zu Neid und Eifersucht, zu Diebstahl bis zum Menschenraub geführt. Wird deutlich hier: Der Zusammenhang zwischen Privatbesitz, Herrschaft und Eifersucht
      Viele Indianerstämme in den USA leben heute noch egalitär (matriarchal) und ihnen ist vom Staat erlaubt, in ihren Reservaten Spielcasinos zu betreiben. Die Casinos so wie das Einkommen daraus gehören dem Clan gemeinsam. Es darf kein Einzelner darüber verfügen.

      Und von welchem „Besitzrecht“ sprichst du?

  • Toni

    Hallo Hannelore

    Ich meine den Eigenbesitz das zum Eigentumserwerb übergeht z.B.
    ein Haus

    Ich kann mir nicht vorstellen das es in matriachalische Kulturen keine Eifersucht kennen. Eifersucht ist doch in menschlicher Natur. Das mag sicherlich ein Ausnahme geben