Freund-Feind-Polarität – Rivalität verdrängt Individualismus

Teil 5 / 12 der Serie Entstehung Patriarchat

Entstehung Patriarchat Freund-Feind-Polarität

Im letzten Teil haben wir gesehen, dass durch Behinderung anderer zu natürlichen Nahrungsquellen Hirtentum entstand. Dabei wurden Tierherden in Besitz genommen. Die Gewohnheit des Behinderns beim Zugang zu Ressourcen entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Charakteristikum der allgemeinen Lebensweise und Feindschaft entstand.

Gleiche menschliche Handlungsmuster können in verschiedenen Lebensbereichen ausgeführt werden, d.h. diese Muster sind auf andere Gebiete übertragbar, in denen die entsprechenden Lernerfahrungen zunächst nicht gemacht wurden. Für unsere Situation bedeutet das: Sobald Feindschaft und Besitzergreifung im Beziehungszusammenhang mit den Tierherden gelernt wurden, konnten Feind- und Besitzverhältnisse auch auf Land, Ideen oder Überzeugungen übertragen werden, wenn die Umstände dies erlaubten.

Wenn aber „das Andere“ der Feind ist, ist Individualismus ausgeschlossen, weil anders zu sein dann von Mitgliedern der Gruppe unter allen Umständen vermieden wird, denn es wird ja bekämpft und subtil oder offen diskreditiert.*

Die Folge ist größtmögliche Anpassung, das Ziel, auf keinen Fall selbst mit irgendeiner Eigenschaft herauszuragen und beim anderen Herausragen zu verhindern.

Eine persönliche Entfaltung war nicht mehr möglich, Individualismus ging verloren. Und da es keine zwei gleichen Menschen gibt, ist grundsätzlich nach dieser neuen Überzeugung jeder Mensch vom Einzelnen aus gesehen „das Andere“. Eine neue Form von Beziehungsverhältnis ging daraus hervor: Rivalität.

Vertrauen und Zuversicht in die natürliche Harmonie allen Seins verschwanden und wurden durch die Sorgen um verfügbaren Lebensunterhalt ersetzt. Angst, nicht genug zu haben, existenzielle Angst vor dem Verhungern, gehörte ab jetzt zu den Konversations-Netzen, die die Generationen der nächsten Jahrtausende prägten. (Erläuterung Konversations-Netz)

Die qualvolle Sehnsucht nach Sicherheit wurde von den Hirtenvölkern durch massive Vergrößerung der Herden befriedigt. Diese Tatsache brachte enorme Konsequenzen mit sich, die sich an drei Schlüsselbegriffen festmachen lassen und die Grundmauern des prinzipiellen Aufbaus des Patriarchats darstellen:

a) Grenzen (Ab- und Ausgrenzung)
b) Besitz
(und dessen Vermehrung, als Gegenmaßnahme zu Mangel und Notsituationen)
c) Kontrolle
(alle Eventualitäten müssen überwacht werden um Punkt a und b sicherzustellen)

Diese drei Maßnahmen sollen grundsätzlich dazu dienen, eine Wiederholung des erlebten Traumas künftig zu vermeiden. Mit diesen drei Maßnahmen wird bis heute versucht Sicherheit zu erreichen.

Der patriarchale Leit- und Glaubenssatz lautet: „Je mehr Besitz ich kontrolliere und unter Verschluss halte, desto weniger fühle ich mich verunsichert.“

Auf diesen einfachen Nenner lassen sich alle Handlungen in den patriarchalen Industrieländern zurückführen. Wir folgen als kulturelle Wesen in unserem Handeln immer unseren Wünschen. Im Patriarchat geht es dabei nur um einen einzigen Wunsch: Sicherheit.

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*Wie sich die Verneinung des Anderen als treibende Kraft der westlichen Kultur ausdrückt, verdeutlicht beispielsweise die Art und Weise, wie das US-amerikanische Patentsystem funktioniert. Patentprüfende sind demnach nicht verpflichtet, das traditionelle Wissen indigener Völker zu berücksichtigen, solange dieses Wissen nicht im globalisierten westlichen Wissenssystem der Fachjournale und –bücher publik gemacht wird. Das bedeutet tatsächlich, dass lokales Wissen als inexistent gilt, auch wenn es eine reiche Literatur dazu gibt (wenn auch nicht in einer europäischen Sprache oder im Rahmen des westlichen akademischen Systems) (mehr in Subsistenz und Widerstand: Alternativen zur Globalisierung).

Bevor indigene Kulturen möglicherweise ganz verschwinden, bemühen sich insbesondere Pharmakonzerne im großen Stil, das traditionelle und medizinisch verwertbare Wissen indigener Kulturen für sich in Form von Patenten nutzbar zu machen. (mehr unter Biodiversität und indigene Völker)

Im Zusammenhang mit der Biopiraterie der Pharmakonzerne, der sich die UNO, Regierungen und Initiaven entgegenstellen, möchte ich einmal darauf hinweisen, wie in bester Absicht zu helfen und gerecht zu sein, „das Andere“ gar nicht wahrgenommen wird.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert in diesem Zusammenhang unter anderem beispielsweise ein Veto-Recht:

Das Recht, dem Zugriff auf genetisches Material und traditionelles Wissen die Zustimmung zu verweigern, würde die Position indigener und lokaler Gemeinschaften stärken. Es wäre Ausdruck ihrer kulturellen Selbstbestimmung, die es ihnen gestatten würde, bestimmtes Wissen und manche Praktiken für sich behalten zu können und sie nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen zu müssen. (Quelle, Hervorhebung von mir)

Diese zweifellos gut gemeinte Forderung widerspricht, speziell in den Hervorhebungen, dem Selbstverständnis dieser Völker, zu teilen und zu geben. Es ist nicht nur ihr gewählter ‚Lifestyle‘, sondern ihr Überlebenskonzept seit Jahrtausenden! Würden Gemeinschaften wie die afrikanischen San (Buschleute) sich darauf einlassen oder wären sie dazu gezwungen, dann ließen sie sich korrumpieren, von  patriarchalem Gedankengut infizieren und wären auf dem Weg, sich und ihre friedfertige, lustvolle Kultur zu zerstören.

Wie wenig die Naturvölker ‚gesehen‘ werden, verdeutlicht der Satz „Es wäre Ausdruck ihrer kulturellen Selbstbestimmung…“ – genau das Gegenteil ist der Fall. Blindheit für „das Andere“.