Frauen und Kleinbauern ernähren die Welt
Im patriarchalen Ökonomieverständnis gelten Kleinstrukturen als rückständig und provinziell. Dabei wird übersehen, dass bäuerliche und handwerkliche Kleinbetriebe ganz wesentliche Stützen der biologischen Vielfalt, der Ernährungssicherheit und des gemeinschaftlichen Wertgefühls sind.
Die Ethnologin und Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen erforschte über viele Jahre eine Region im Süden Mexikos, und illustriert anhand ihrer Studienergebnisse, wie viele und wie viel unterschiedliche gesellschaftliche-kulturelle Elemente die Agrobiodiversität stützen.
Bennholdt-Thomsen bezeichnet mit „Subsistenz“, was notwendig für ein zufriedenes und erfülltes Leben ist. Im Gegensatz zu Gewinnstreben, Konkurrenz, Konsumismus und Umweltzerstörung.
Zufriedenheit und Erfüllung
In der Mitte der pazifischen Küstenebene liegt Juchitán. Es ist ein großes Dorf von 80.000 Einwohnern und Marktstadt zugleich. Ab 1960 wurde hier von der mexikanischen Regierung ein Staudamm gebaut, um Bewässerungsland zu schaffen und daraufhin wurden zahlreiche, auf Produktionssteigerung zielende landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte durchgeführt.
Trotzdem wird in Juchitán bis heute der „zapalote chico“, die traditionelle, einheimische Maissorte ausgesät, und obwohl die Region geografisch dem Welthandel offen steht.
Dass auf Massenproduktion ausgerichteter Maisanbau nicht Fuß fassen konnte, gründet sich auf die besondere Sozialstruktur in dieser Region.
Die Frauen von Juchitán sind Händlerinnen, es gibt keine Hausfrauen; und auch keine Bäuerinnen sondern nur Bauern. Für die ist es finanziell wesentlich lohnender, den Mais an die Frauen in der eigenen Stadt zu liefern, als an eine Aufkauforganisation, die ihn exportieren würde.
Die Juchitecas verarbeiten den von den Bauern gekauften Mais zu den verschiedenen einheimischen Maisgerichten und zwar für den Verkauf auf dem Markt.
Der „totopo“, eine haltbare Zwiebacktortilla, wird von den juchitekischen Fernhändlerinnen bis in den Süden der USA und bis nach Guatemala hinein gehandelt. Diese „Veredelung“ des Rohstoffes Mais vor Ort, durch die Frauen meist der eigenen Familie, bringt dem Bauern, trotz der vergleichsweise niedrigen Ertragsmenge der traditionellen Sorte, mehr ein, als Hochertragsanbau und Verkauf an den ‚broker’.
Nach allen Kriterien der Entwicklungsökonomie müsste eine solchermaßen vorgeblich rückständige Landwirtschaft mit Armut einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall.
Die geschlechtsegalitäre, eben nicht geschlechtshierarchische Arbeitsteilung stabilisiert die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Die wiederum sind der Grund dafür, dass die Zapoteken von Juchitán nachgerade wohlsituiert leben. Dafür sorgt die hohe Bedeutung der Nahrungsmittel im zapotekischen Wertesystem.
Die Tatsache, dass 75 Prozent der Lebensmittel auf dem Markt aus der Region selbst stammen, bedeutet, dass konsumiert wird, was auch hier produziert und verarbeitet worden ist.
Jedes Fest in Juchitán geht über mehrere Tage, mindestens über zwei. Der letzte Tag wird „Lavada de Ollas“, Tag des Töpfewaschens, genannt und entspricht unserer Tradition des „Kehraus“.
Die „Velas“, die großen Gemeinschaftsfeste, gehen über vier Tage. Ohne „Lavadas“ verzeichnet das Register der Gemeindeverwaltung 628 große Feste jährlich. Allein 83 davon sind im Mai, 58 im Dezember.
Die Mehrzahl der hier erwähnten Feste sind keine offiziellen Feiertage. Sie beginnen entweder um 20.00 Uhr oder – häufiger – um 14.00 Uhr, der „Hora de la Pachanga“, der Stunde der Sause. Für die meisten ist dann Feierabend, denn in der Regel fängt der Arbeitstag der Bauern und Händlerinnen zwischen 4.00 und 5.00 Uhr an, und die wichtigsten Tätigkeiten sind bis zum frühen Nachmittag verrichtet.
Arbeit und Fest gehen fließend ineinander über, beides ist der Alltag. Diese städtische Gesellschaft mit ihren großen gesellschaftlichen Ereignissen wird von den Frauen und Händlerinnen getragen, die die lokale und regionale Zirkulation aufrechterhalten. Der Bauer bindet sich vermittelt über seine Austauschbeziehungen ein.
Eingebunden in die besondere Kultur der großen Feste , sorgen sie dafür, dass ihre Waren und ihre Arbeit auch ihren Wert behalten. Zu diesen Festen gehören neben den Lebensmitteln auch die einheimische (Fest)Kleidung und der Schmuck des Festplatzes, wofür hauptsächlich die Frauen zuständig sind; aber auch zapotekische Musik und Poesie, für die die Männer verantwortlich zeichnen.
Mit all dem gehen sie nicht sparsam, sondern verschwenderisch um, was wiederum die Wirtschaft in Schwung hält.
Auch in Juchitán unterliegen die Waren und das Geld denselben Mechanismen der Inflation, des Wechselkurses oder der Preisbildung im Gefolge von Angebot und Nachfrage wie andernorts auch. Und dennoch ist der Warentausch in andere gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet, die ihm eine andere Bedeutung geben: In Juchitán wird die moderne Marktwirtschaft durch nicht-patriarchale Verhaltensmuster und Gemeinschaftssinn kulturell anders modelliert.
Die herrschende Wirtschaftslehre tendiert dazu, diese Zusammenhänge gering zu schätzen, angesichts der Bedeutung, die sie dem Weltmarktanschluss beimisst. Dabei haben wir in Deutschland nach der Widervereinigung die negativen Auswirkungen neu kennen gelernt, wenn einheimische Güter als geringschätzig abgetan werden.
Vielen Menschen in Ostdeutschland waren die Produkte der eigenen Gegend nichts mehr wert. So mussten etwa Schlachthöfe und Molkerein schließen. Betriebe aus dem Westen kauften die Schweine und die Milch billig auf. Sie kehrten später als Wurst und Molkereierzeugnisse aus westdeutscher Herstellung teuer wieder in die Regale der östlichen Geschäfte zurück.
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Veronika Bennholdt-Thomsen ist Leiterin des „Instituts für Theorie und Praxis der Subsistenz e.V.“, in Bielefeld/Fögendorf
Literatur:
Serie Ernährung
- Ernährung durch Licht und Lebensenergie bei Ureinwohnern
- Frauen und Kleinbauern ernähren die Welt
- Feste in unserer hierarchischen Gesellschaft
- Subsistenzwirtschaft: Freude am Tun und dann genießen
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