Magisches Eigentum: Tauschen, Tauschobjekte, Tauschsysteme

Im Internet wurde mal nach einem Fachwort gesucht. Den Artikel gibt es nicht mehr. Die Beschreibung des zu findenden Fachworts lautete:

Das gesuchte Wort soll einen Austausch beschreiben, der sich nicht durch quantitative Maßstäbe messen lassen kann, einer solchen Messung gar widerspricht. Durch diesen Austausch wird eine Wirkung freigesetzt, die unregelmäßigen Mustern folgt und damit wiederum ein subversives Potential entfaltet.

Kula Tauschobjekt

Kula-Tauschobjekt

Synonyme für dieses Wort finden wir in vielen Sprachen und Kulturen, z.B. Potlatch (Nordwestamerika), Tonga (Samoa), Taonga (Maori), Tataoa (Tahiti), Taetae (Marquesas-Inseln), Kula oder Kula-Ring (Trobriand-Inseln), Uvalaku (überseeische Variante des Kula) oder Olo-olo (Fidschi). Die Tauschgegenstände sind hier nicht als „Geld“ zu bezeichnen, wie es häufig getan wird, weil die Sachen zwar als Tauschmittel, aber nicht als Wertmaßstab dienen.

Aber fangen wir vorne an. In den Wirtschafts- und Rechtsordnungen, die den unseren vorausgegangen sind, begegnet man nicht dem simplen Austausch von Gütern, Reichtümern und Produkten im Rahmen eines zwischen Individuen abgeschlossenen Handels.

Erst mal sind es nicht Individuen, sondern Kollektive, die austauschen und Tauschverbindungen eingehen. Es treten sich Clans, Stämme, Sippenverbände gegenüber, entweder als Gruppen auf dem Terrain selbst oder durch Vermittler (z.B. eigens dafür verantwortlichen Häuptlingen), oder auf beide Weisen zugleich.

Zum anderen handelt es sich bei dem, was ausgetauscht wird keineswegs um Güter, Reichtümer, bewegliche oder unbewegliche Habe, also in unserem Sinne „wirtschaftliche Dinge“.

Es sind vor allem Elemente, aus denen Beziehungen bestehen und gewoben werden: Talismane, Rituale, Feste und Festessen, Tänze, Spiele, Muscheln, selbst hergestellte Gebrauchskunst u.ä. Auch Märkte, wobei der Handel nur Mittel zum Zweck ist, und der Umlauf der Güter eine untergeordnete Rolle spielt.

Im Shuk von Jerusalem kaufte ich vor vielen Jahren ein Schachspiel und kam mit dem Händler ins Gespräch. Seine aufschlussreiche Aussage war: „Die meisten Menschen aus dem Westen handeln nicht. Sie wollen nicht feilschen. Wie soll man sich da kennen lernen?“

Potlatch

Das wohl bekannteste Beispiel des gegenseitigen Austauschs ist der bei den nordamerikanischen Indianerstämmen übliche Potlatch. Es ist ein Kwakiutl-Ausdruck, der in die Alltagssprache der Weißen und der Indianer von Vancouver bis Alaska eingegangen ist. Hier bei uns in Florida veranstalten die Leute Parties, wo jeder etwas zu essen mitbringt, und sie nennen das „potluck“ – aus dem englischen übersetzt „Topf-Glück“. So nach dem Motto, wenn man Glück hat, erwischt man etwas Leckeres in den mitgebrachten Töpfen und Schüsseln. Der Ursprung ist gar nicht mehr bekannt.

„Potlatch“ (auch Potlatsch) wird meistens mit „ernähren“, „verbrauchen“ übersetzt. Wörtlich heißt es aber „Ort, wo man gesättigt wird“ (place of getting setiated). Und das ist eine viel umfassendere Angelegenheit und muss auch im erotischen Sinne verstanden werden. (Deutlich wird das auch beim Stillen durch Frauen und Männer, wo die Nahrung nicht das allein Wichtige ist: Ebook)

Die sehr reichen Indianerstämme, die auf den Inseln, an der Küste oder zwischen der Küste und den Rocky Mountains leben, verbringen den Winter in einem unaufhörlichen Fest: Bankette, Ausstellungen und Märkte sind zugleich die feierlichen und ausgelassenen Versammlungen des Stammes. Die Haida-Indianer nennen es: den Reichtum „töten“. Denn trotz Häuptlingtums und gewisser Hierarchien in der Verantwortlichkeit, tun diese Stämme alles, um ihr egalitäres Gleichgewicht zu bewahren. (So ist es auch in Juchitan, Mexiko, mit 628 großen jährlichen Festen!)

Ebenso wie wir, wissen diese Ureinwohner, dass ungleiche Verteilung von Gütern die Balance der Gemeinschaft stört. Bei den Stämmen wird der überschüssige Reichtum daher einfach zerstört, meistens verbrannt oder ins Meer geschüttet. (Vergleiche dazu auch die egalisierende Wirkung von Glücksspielen in herrschaftsfreien Gesellschaften.)

Außer dem Potlatch gibt es einen noch elementareren Typus des Austauschs zwischen Clans und Stämmen. Wir finden ihn in Afrika, Polynesien und Malaya, in Südamerika und dem übrigen Nordamerika. Patriarchal beeinflusste Elemente wie Rivalität, Zerstörung und Kampf, wie sie beim Potlatch vorkommen, fehlen hier.

Kula-Ring

Der Kula-Ring zeigt den Weg der Boote zwischen den Inseln Neu-Guineas

Im Maori, Tahitisch, Tonga und Mangarevan gibt es den Begriff taonga, der alles bezeichnet, was reich im Sinne von „gesättigt, zufrieden“ macht und daher in den Beziehungen der Gemeinschaft zu Ansehen verhilft. Aus dem einfachen Grund, weil zufriedene Individuen keine Unruhestifter sind. Es handelt sich bei taonga der Bestimmung nach um ‚unbewegliche‘ Güter, das heißt, sie gehören immer zu ihrem Ursprung. Dazu gehören Talismane, heilige Matten, Traditionen, magische Kulte und Rituale. Daneben gibt es das Wort oloa, das dagegen die beweglichen Güter bezeichnet. Beispielsweise das spezifische Eigentum der Männer (Boote, Stoffe, Waffen) und Gegenstände fremder Herkunft (heute also alles, was von Weißen stammt).

Das Wort taonga ist gleichzusetzen mit ‚magischem Eigentum‘. Unsere Wegwerfprodukte gehören zu den oloa.

Der Geist der gegebenen Sache

In den Vorstellungen der Maori (Neuseeland) sind die taonga sehr eng mit der Person, dem Matri-Clan oder dem Boden verknüpft; sie sind die Träger ihres mana, ihrer magischen, spirituellen, geistigen Kraft.

Lassen wir einen Maori zu Wort kommen, der die komplexe Tauscherei erklärt, wie es in einem neuseeländischen Magazin veröffentlicht wurde:

„Ich will Ihnen jetzt vom hau* erzählen … Das hau ist nicht der Wind, der bläst. Ganz und gar nicht. Stellen Sie  sich vor, Sie besitzen einen bestimmten Gegenstand (taonga) und geben ihn mir; Sie geben ihn mir ohne festgesetzten Preis. Wir handeln nicht darum. Nun gebe ich diesen Gegenstand einem Dritten. Nach einer gewissen Zeit beschließt dieser Dritte etwas als „Zahlung/Entschädigung“ dafür zu geben. Er schenkt mir irgend etwas (taonga). Und dieses taonga, das er mir gibt, ist der Geist (hau) des taonga, das ich von Ihnen bekommen habe und das ich ihm gab.
Die taonga, die ich für die anderen taonga (diejenigen, die von Ihnen kommen) erhalten habe, muss ich Ihnen zurückgeben.
Es wäre nicht recht von mir, diese taonga für mich zu behalten, ob sie mir nun gefallen oder nicht. Ich muss sie Ihnen geben, denn sie sind ein hau des taonga, das Sie mir gegeben haben. So ist das mit dem hau, dem hau des persönlichen Eigentums, dem hau der taonga, dem hau des Waldes. Kati ena (genug davon).“

* hau bezeichnet, wie das Lateinische spiritus, zugleich Wind und Seele

Verwirrend? Übersetzen wir doch mal in unsere Kultur. Schenkt ein junger Mann seiner Geliebten zur Hochzeit den Ring seiner Mutter und geht die Beziehung in die Brüche, so gibt die junge Frau den Ring zurück, wenn sie ihre Integrität bewahren will. Erhält eine Person von anderen ganz persönliche Geschenke, so gehen sie nach deren Tod normalerweise an die Gebenden oder deren Familien zurück. Meistens handelt es sich um Schmuck. Es kann auch Tafelsilber, ein Gemälde oder ein Seidenschal sein. Oder ein Anhänger am Schlüsselbund oder Rückspiegel. Oder ein Wanderpokal. Ein Talisman eben. Euch fallen bestimmt selbst Beispiele ein; beschreibt sie doch im Kommentar.

Die dem ausgetauschten Geschenk innewohnende Verpflichtung kommt daher, dass die empfangene Sache nicht leblos ist. Selbst, wenn der Geber sie abgetreten hat, ist sie noch ein Stück von ihm. Und der Wert ist nicht messbar.

Es ist das hau, der Spirit, das zu dem Ort seines Ursprungs, zur geheiligten Stätte des Clans und zum Eigentümer gehört und dorthin zurückkehren möchte. Es geht also weniger um den Gegenstand selbst, als um den Geist, der damit verbunden ist. Der Geist ist das Wertvolle.

Das taonga oder sein hau ist eine Art Individuum. Es verselbständigt sich und heftet sich an eine Reihe von Benutzern, bis diese aus ihren taonga – Gütern oder auch ihrer Arbeit – durch Gastmähler, Feste und Gaben etwas Gleich- oder Höherwertiges dafür gegeben haben, das seinerseits Autorität und Macht vom Geber zu der Verbindung mit dem ersten Geber fließen lässt, der nun der letzte Empfänger geworden ist.

Die durch die Sache geschaffene Bindung ist eine Seelen-Bindung. Woraus folgt, dass jemand etwas geben soviel heißt, wie jemand etwas von sich selbst geben.

Und das ist der Leitgedanke, der in Polynesien und anderen Regionen dem Zwangsumlauf von Gaben zugrunde liegt.

Unsere Feste sind die Bewegung der Nadel, die die Teile des Strohdachs zusammennäht, so dass sie ein einziges Dach bilden. Es sind dieselben Sachen, die zurückkehren, derselbe Faden, der sich hindurchzieht.

Weisheit aus Neukaledonien

18 Kommentare

  • gealach

    Danke, jetzt weiss ich endlich warum man das Bedürfnis hat Dinge jemanden zurück zugeben. Mir ist es zum Teil auch unheimlich Schmuck zu tragen, von dem ich weiss, dass er der Vorbesitzerin viel bedeutet hat. Andere Dinge habe ich sehr gerne um mich, weil sie mich an jemanden erinnern oder sie mir mit viel Liebe überlassen wurden.

  • gealach

    Danke, jetzt weiss ich endlich warum man das Bedürfnis hat Dinge jemanden zurück zugeben. Mir ist es zum Teil auch unheimlich Schmuck zu tragen, von dem ich weiss, dass er der Vorbesitzerin viel bedeutet hat. Andere Dinge habe ich sehr gerne um mich, weil sie mich an jemanden erinnern oder sie mir mit viel Liebe überlassen wurden.

  • gealach

    Danke, jetzt weiss ich endlich warum man das Bedürfnis hat Dinge jemanden zurück zugeben. Mir ist es zum Teil auch unheimlich Schmuck zu tragen, von dem ich weiss, dass er der Vorbesitzerin viel bedeutet hat. Andere Dinge habe ich sehr gerne um mich, weil sie mich an jemanden erinnern oder sie mir mit viel Liebe überlassen wurden.

  • Sabine

    Wie wär’s mit „Herzensgabe“ oder „Herzensgeschenk“ ? So mal „in die Kladde“ getippselt …

  • Sabine

    Wie wär’s mit „Herzensgabe“ oder „Herzensgeschenk“ ? So mal „in die Kladde“ getippselt …

  • Sabine

    Wie wär’s mit „Herzensgabe“ oder „Herzensgeschenk“ ? So mal „in die Kladde“ getippselt …

  • richard

    Geschenke, die Verpflichtungen hervorufen?

  • richard

    Geschenke, die Verpflichtungen hervorufen?

  • richard

    Geschenke, die Verpflichtungen hervorufen?

  • @richard – ja, innewohnende Verpflichtung im Sinne von „Aufgabe“, nicht Pflicht im Sinn von etwas schuldig sein oder müssen.

    Die Geisteshaltung hinter dem Begriff „Verpflichtung“ ist hier eine andere als bei unserem zwanghaften Geben und Nehmen. Es gibt aber, wie meistens, nur einen Begriff. Was gemeint ist, kann deshalb nur dem Kontext entnommen werden.

  • @richard – ja, innewohnende Verpflichtung im Sinne von „Aufgabe“, nicht Pflicht im Sinn von etwas schuldig sein oder müssen.

    Die Geisteshaltung hinter dem Begriff „Verpflichtung“ ist hier eine andere als bei unserem zwanghaften Geben und Nehmen. Es gibt aber, wie meistens, nur einen Begriff. Was gemeint ist, kann deshalb nur dem Kontext entnommen werden.

  • @richard – ja, innewohnende Verpflichtung im Sinne von „Aufgabe“, nicht Pflicht im Sinn von etwas schuldig sein oder müssen.

    Die Geisteshaltung hinter dem Begriff „Verpflichtung“ ist hier eine andere als bei unserem zwanghaften Geben und Nehmen. Es gibt aber, wie meistens, nur einen Begriff. Was gemeint ist, kann deshalb nur dem Kontext entnommen werden.

  • richard

    Ich muss sie Ihnen geben, denn sie sind ein hau des taonga, das Sie mir gegeben haben

    „Muss“ ist Zwang, Verpflichtung
    Zumindest erkenne ich eine gewisse Erwartungshaltung bei bestimmten Abläufen.

  • richard

    Ich muss sie Ihnen geben, denn sie sind ein hau des taonga, das Sie mir gegeben haben

    „Muss“ ist Zwang, Verpflichtung
    Zumindest erkenne ich eine gewisse Erwartungshaltung bei bestimmten Abläufen.

  • richard

    Ich muss sie Ihnen geben, denn sie sind ein hau des taonga, das Sie mir gegeben haben

    „Muss“ ist Zwang, Verpflichtung
    Zumindest erkenne ich eine gewisse Erwartungshaltung bei bestimmten Abläufen.

  • @richard – wie immer ist auch hier der Kontext zu beachten. Leider gibt es in unserer Sprache nur ein Wort für „muss“, das einerseits Zwang von außen oder Drang von innen bedeuten kann.

  • @richard – wie immer ist auch hier der Kontext zu beachten. Leider gibt es in unserer Sprache nur ein Wort für „muss“, das einerseits Zwang von außen oder Drang von innen bedeuten kann.

  • @richard – wie immer ist auch hier der Kontext zu beachten. Leider gibt es in unserer Sprache nur ein Wort für „muss“, das einerseits Zwang von außen oder Drang von innen bedeuten kann.