Was ist Kultur und wie ticken wir? Gefühl, Sprache, Handlung, Denken

Teil 1 / 4 der Serie Was ist Kultur?

Kultur früher Menschen

Die Verschmelzung von Sprache und Gefühl in der Kindheit führt zu Handlungen, die wir beibehalten (wenn wir sie nicht hinterfragen) und an die nächste Generation weiter geben.

Um gesellschaftlichen Wandel zu verstehen, ist es sinnvoll vorne zu beginnen. Die Frage „Was ist Kultur?“ und wie entstehen Veränderungen wird in dieser Artikelserie untersucht.

Geschichtlich gingen wir Menschen aus der Familie der zweibeinigen Primaten hervor. Wir lernten aufrecht zu gehen und entwickelten gleichzeitig unsere Sprache. In der Evolution definiert dies unsere menschliche Linie, die sich dadurch von der Linie aller anderen Lebewesen unterscheidet.

Sprache funktioniert ausschließlich mit der Übereinstimmung aller Beteiligten (Konsens1 ). Alle müssen „die gleiche Sprache“ sprechen, sonst ist keine gegenseitige Verständigung möglich.

Unsere Linie entstand, als dieser Sprach-Konsens von Generation zu Generation weiter gegeben und erhalten wurde, und sich damit zum Standard innerhalb der menschlichen Gruppe entwickelte.

Indem sich jede neue Generation Sprache aneignete, lernte sie auch die damit zusammenhängenden Handlungen, die wie die Sprache selbst, mit den Handlungen der Gemeinschaft übereinstimmen müssen.

Wenn beispielsweise eine Person zur anderen sagt: „Reich mir mal die Milch“ und die andere beginnt daraufhin zu singen, dann macht dies ein Zusammenleben unmöglich. Kleinkinder erlernen automatisch nicht nur die zur Sprache passenden Handlungen, sondern auch die entsprechenden Gefühle.

Ursprünglich wurde dabei gleichzeitig der historische Prozess der emotionalen Prägung eingeleitet, die jedes Neugeborene von Anfang an erfährt und die die Kultur begründet.

Die Menschheit entstand also streng genommen als unsere Vorfahr/innen anfingen in „Konversationen“ (Maturana 1994, s.u.) zu leben. Dabei wurden emotionale Prägungen mit Sprachhandlungen verflochten und Sprache und Gefühle direkt miteinander verschmolzen.

Der komplexe Ausdruck Konversation schließt hierbei den Austausch von Gedanken, Ideen und Meinungen ein, enthält Sprachtechniken wie Dialoge, Diskussionen usw.

Als also die Menschheit entstand, entwickelten sich menschliche Tätigkeiten als Konversationen – dem Zusammenwirken von Sprache, Handlungen und Gefühlen – und so wurde alles menschliche Leben zu einem Leben in Konversationen.
Mit anderen Worten: Handeln außerhalb der Gefühls/Sprach-Einheit ist keine menschliche Tätigkeit. Jagen, fischen, feiern, töpfern oder schreiben sind beispielsweise menschliche Tätigkeiten, denen verschiedene Arten von Gefühls/Sprach-Handlungen zu Grunde liegen.

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Jedem Sprechen/Handeln geht Gefühl voraus, das den Impuls zum Handeln erst gibt.

In der Ursprungsgeschichte der Menschheit gehen Gefühle der Sprache voraus, denn sie sind „ein grundlegendes animalisches Merkmal“. (Maturana) Das bedeutet, dass zuerst Gefühl da ist, danach kommt (Sprach-)Handlung.

Aus biologischer Sicht werden Gefühle vom Körper bereitgestellt und zwar als dynamische Anstöße zu Handlungen, die in jedem Moment die Handlungen/das Verhalten beeinflussen. In Übereinstimmung mit dem Gefühl wird eine bestimmte Geste zu einer Einladung oder zu einer Drohung.

Was ist nun eine Kultur aus dieser Perspektive betrachtet?

Das, was der Neurobiologe Humberto Maturana als Kultur bezeichnet, ist ein Netz von Umgangsformen, die das Gefühls/Sprach-Handeln von klein auf bestimmen. Wobei die Gesamtheit der Umgangsformen ein geschlossenes System bildet (Paradigma).

Jemand, der nicht zu einer Kultur-Gemeinschaft gehört, befindet sich nicht in Übereinstimmung (Konsens) mit deren Mustern von Gefühls/Sprach-Handlungen. Er oder sie wird von den Mustern der eigenen Kultur geprägt, in Übereinstimmung damit.

Kultur ist also ein Netz von Verflechtungen aus Fühlen und Handeln auf der Basis von sprachlicher Übereinstimmung.

*

Literatur:

Humberto Maturana: Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins

Dieses Buch handelt vom Ursprung unserer europäischen patriarchalen Kultur. Darin hält Maturana die Mutter-Kind-Beziehung in unserer Kindheit für matristisch. Das ist der einzige Punkt in Maturanas Schriften, dem ich nicht zustimmen kann, denn gerade unsere Kindheit entspricht dem patriarchalen Paradigma. Ich habe mich immer gewundert, wie Maturana dazu kommt, bis ich erfuhr, dass seine Mutter als kleines Mädchen evakuiert wurde und Jahre in einer intakten chilenischen Indio-Gemeinschaft in den Bergen verbrachte. Die Mutter Maturanas war von dem „Alten Weg“ indigener Völker geprägt und hat diese Umgangsformen an ihre Kinder weiter gegeben. Diesbezüglich hat Humberto Maturana als Kind ein anderes kulturelles Paradigma erfahren, als die Kinder seiner Umgebung.

  1. Konsens, aus lat. consensus „Übereinstimmung, einverstanden sein“, zu lat. sentire „empfinden, wahrnehmen“ und lat. con– „mit“, also mitempfinden. []

5 Kommentare

  • Bio

    Ein schöner Artikel und lesenswert!

    Ich bin der Meinung dass man es evtl. weitgehend in einem Begriff zusammenfassen kann. Neuronenbildung.
    Bsp.: Kein Mensch kann sofort Integralrechnungen lösen, ohne das Einmaleins zu können.
    Deshalb wird man auch oft als Spinner bezeichnet, wenn man Menschen etwas von einer Realität erzählt, die nicht der allgemeinen Realität entspricht und bei dem Gegenüber, wohl möglich, das Weltbild zerstört. Die Menschen glauben es nicht. Unter anderem deshalb, weil sie sich nie mit dem Thema befasst haben, befassen konnten, oder auch nicht befassen durften. Es fehlt die Grundlage, Das grundlegende Neuronennetzwerk, auf dem weitere Neuronen gebildet werden, bzw. gebildet werden könnten.

    Bruce Lee beschrieb es einmal so:
    <blockquote> Die Zeiten drastischer Veränderungen sind leidenschaftliche Zeiten. Wir können niemals für etwas tauglich und bereit sein, das gänzlich neu ist. Wir müssen uns zuerst anpassen und jede radikale Anpassung bedeutet eine Krise in der Selbstachtung: wir unterziehen uns einer Prüfung; wir müssen uns selbst beweisen. Eine drastischen Veränderungen ausgesetzte Bevölkerung ist somit eine Bevölkerung von »Unpassenden« und »Unpassende« leben und atmen in einer Atmosphäre von Leidenschaft.</blockquote>

  • Bio

    Ein schöner Artikel und lesenswert!

    Ich bin der Meinung dass man es evtl. weitgehend in einem Begriff zusammenfassen kann. Neuronenbildung.
    Bsp.: Kein Mensch kann sofort Integralrechnungen lösen, ohne das Einmaleins zu können.
    Deshalb wird man auch oft als Spinner bezeichnet, wenn man Menschen etwas von einer Realität erzählt, die nicht der allgemeinen Realität entspricht und bei dem Gegenüber, wohl möglich, das Weltbild zerstört. Die Menschen glauben es nicht. Unter anderem deshalb, weil sie sich nie mit dem Thema befasst haben, befassen konnten, oder auch nicht befassen durften. Es fehlt die Grundlage, Das grundlegende Neuronennetzwerk, auf dem weitere Neuronen gebildet werden, bzw. gebildet werden könnten.

    Bruce Lee beschrieb es einmal so:
    <blockquote> Die Zeiten drastischer Veränderungen sind leidenschaftliche Zeiten. Wir können niemals für etwas tauglich und bereit sein, das gänzlich neu ist. Wir müssen uns zuerst anpassen und jede radikale Anpassung bedeutet eine Krise in der Selbstachtung: wir unterziehen uns einer Prüfung; wir müssen uns selbst beweisen. Eine drastischen Veränderungen ausgesetzte Bevölkerung ist somit eine Bevölkerung von »Unpassenden« und »Unpassende« leben und atmen in einer Atmosphäre von Leidenschaft.</blockquote>

  • Bio

    Ein schöner Artikel und lesenswert!

    Ich bin der Meinung dass man es evtl. weitgehend in einem Begriff zusammenfassen kann. Neuronenbildung.
    Bsp.: Kein Mensch kann sofort Integralrechnungen lösen, ohne das Einmaleins zu können.
    Deshalb wird man auch oft als Spinner bezeichnet, wenn man Menschen etwas von einer Realität erzählt, die nicht der allgemeinen Realität entspricht und bei dem Gegenüber, wohl möglich, das Weltbild zerstört. Die Menschen glauben es nicht. Unter anderem deshalb, weil sie sich nie mit dem Thema befasst haben, befassen konnten, oder auch nicht befassen durften. Es fehlt die Grundlage, Das grundlegende Neuronennetzwerk, auf dem weitere Neuronen gebildet werden, bzw. gebildet werden könnten.

    Bruce Lee beschrieb es einmal so:
    <blockquote> Die Zeiten drastischer Veränderungen sind leidenschaftliche Zeiten. Wir können niemals für etwas tauglich und bereit sein, das gänzlich neu ist. Wir müssen uns zuerst anpassen und jede radikale Anpassung bedeutet eine Krise in der Selbstachtung: wir unterziehen uns einer Prüfung; wir müssen uns selbst beweisen. Eine drastischen Veränderungen ausgesetzte Bevölkerung ist somit eine Bevölkerung von »Unpassenden« und »Unpassende« leben und atmen in einer Atmosphäre von Leidenschaft.</blockquote>

  • Vielen Dank für diesen Artikel, den ich in einem Kommentar in diesem referenziert habe, da das Thema Emotionen aufkam und ich wie zufällig aufgrund der News-Mail wieder hier vorbeischaute: Ist ein Intelligenzwesen logischerweise ein Sozialwesen? Oder hat es der Dumme damit leichter?
    Herzliche Grüße, Martin

  • ralf beyer

    Liebe Hannelore, Du sprichst mir aus dem Herzen
    Danke für Dein Geben
    Ralf