Bekanntwerden der Vaterschaft

Teil 7 / 12 der Serie Entstehung Patriarchat

Nomaden Jurte Um verstehen zu können, wie sich im frühesten Hirtentum allmählich patriarchale Herrschaftsstrukturen entwickelten, müssen wir die Lebensweise dieser Hirtenkulturen genauer betrachten.

Im Großen und Ganzen haben Historiker die Welt der Wanderhirten vernachlässigt, romantisiert oder verteufelt. Einmal wegen der überwiegend oralen Tradition (mündliche Weitergabe), die bei einigen von diesen Nomaden abstammenden Ethnien bis heute gepflegt wird. Außerdem waren die Hirtenvölker klein, und insbesondere in den letzten Jahrhunderten scheint ihr Einfluss auf die Weltgeschichte geringer zu sein als der der ackerbaulichen Zivilisationen.

Es wird jedoch deutlich, dass wir unsere Geschichte nicht verstehen können, ohne die Beiträge der zahlreichen Hirtengemeinschaften zu erforschen, die unseren hierarchischen und gewaltvollen Lebenstil geprägt haben.

Bekanntwerden der Vaterschaft

Vaterschaft wurde erst mit dem Hirtentum und der damit verbundenen Viehhaltung bekannt. Durch den ständigen Umgang mit den Herden muss den frühen Hirten aufgefallen sein, dass ohne die Anwesenheit eines männlichen Tieres keine Nachkommen entstehen.

Warum die Menschen davor die Beteiligung des Vaters an der Befruchtung nicht erkennen konnten, erklärt der Autor Gerhard Bott mit den langen „Zwischengeburtszeiten“ der paläolithischen Menschen.

Durch die Paläomedizin ist heute erwiesen, dass […] bei der homo-sapiens-Mutter während der mindestens drei Jahre dauernden Stillzeit, die im Paläolithikum notwendig und die Regel war, eine Ovulationshemmung genetisch ausgelöst wurde, die sie und ihren Säugling vor einer alsbaldigen Schwangerschaft schützte. Damit wurden die Überlebenschancen beider signifikant erhöht. In der Evolutionsbiologie wird dies „Indirekte Reproduktion“ genannt.

Aus diesem Tatbestand folgt, dass eine paläolithische Mutter, trotz ständigen Sexualverkehrs, höchstens alle vier Jahre schwanger wurde und ein Kind zur Welt brachte. Erst im Neolithikum wurde die genetische Ovulationshemmung abgebaut. Bei solch langen Zeitspannen lässt sich der Zusammenhang zwischen Befruchtung und Schwangerschaft nicht beobachten.1

Das erklärt die vielen, weltweit bekannten und alt überlieferten Schöpfungsmythen, wo eine Frau im Kontakt mit der Natur schwanger wird: durch das Eintauchen in einen See, beim Schwimmen im Meer oder durch Berührung mit dem Wind.

Anders als die Wildbeuter und halbsesshaften Bauern, die überwiegend von Agrarprodukten lebten, nutzen die Hirten ihre Tiere viel intensiver. Zwar schützen und fütterten die frühen Bauern ihre wenigen, einzelnen Tiere ein Leben lang, doch wurden Fleisch und Fell nur einmalig und erst nach der Schlachtung verwendet.

Hirten besiedeln traditionell unfruchtbares Weideland, das sie zwingt, die „Sekundärprodukte“ der lebenden Haustiere zu nutzen: Haare, Milch, Blut, sowie Zug- und Körperkraft. Dies bedeutete, dass jedes Tier während seiner Lebenszeit mehrere Rohstoffe hervorbrachte, wodurch sich die Produktivität des Viehhütens erhöhte und es den Hirten erlaubte, auch in den trockenen Steppengebieten ihr Auskommen zu finden.

Ohne Besitztum der Herden wäre das nicht möglich gewesen! (Eine derart verbesserte Nutzung der Viehbestände findet man im 5. Jahrtausend v.u.Z. in einer Ära, die der englische Historiker und Archäologe Andrew Sherrat als „Revolution der Sekundärprodukte“ bezeichnet.)

Hirtenfamilien leben auf der Wirtschaftsgrundlage der Viehwirtschaft; sie begleiten ihre Herden von Weideplatz zu Weideplatz und führen daher kein sesshaftes Leben. Dabei betreiben sie im Gegensatz zu Halbnomaden keinen Garten- oder Ackerbau. Sie sind Vollnomaden.

Rationierung, Zuteilung – der erste Rechtsbegriff

Das Wort ‚Nomade’ gibt uns bereits Aufschluss über den Lebensstil dieser ersten Hirten und der sich daraus entwickelnden Weltanschauung.
Nomade geht auf die indoeuropäische Wurzel nem– zurück, die „zuteilen, rationieren“ bedeutet. Das ist einleuchtend bei einer Gemeinschaft, die vom Hunger und der damit verbundenen Knappheit geprägt ist.

Im Altenglischen entwickelte sich niman „nehmen, die Gelegenheit nutzen (engl. seize)“, næmel „schnell ergreifen“ und numol „schnell lernen“; im Griechischen nemein „zuteilen, rationieren“ (vgl. Nemesis weiter unten), nomas „Wandern, um Weideland zu suchen“, nominos „legal, rechtmäßig“.

Nomos ist rechtsgeschichtlich im alten Griechenland ursprünglich die Weideordnung (parzellieren), dann Sitte und Brauch, dann Gewohnheitsrecht, und seit dem 6. Jahrhundert v.u.Z., im Unterschied zum Ethos, das geschriebene Gesetz, die Rechtsordnung.

Geografisch wurde nomos, pl. nomoi zu „Verwaltungsbezirk“, geleitet von einem Präfekten (Nomarch); mehrere Nomoi bilden eine Region.

Ins Lateinische übernommen wurde nummus „Münze, ein Stück Geld“.2

Wir müssen uns vor Augen halten, dass es in nicht-patriarchalen Stammeskulturen keinen Besitz gab und bis heute nicht gibt. Wo es keinen Besitz, keine Hierarchie und Rangordnung gibt, fehlt auch die Zuteilung nach „Recht und Gesetz“. Eine Rechtsordnung ist ganz und gar unbekannt. Es wird geteilt, nicht zugeteilt.

Die Griechen mit ihrem bereits entwickelten Patriarchat hatten als Symbol die Göttin Nemesis (griech. „Zuteilung“) für die Rationierungs-Idee. Von Hesiod „Tochter der Nacht“  genannt, teilt sie den Menschen das ihnen zukommende Maß an Vergeltung für begangenes Unrecht und für Übermut zu.3

Ich erwähne hier erstmals das Gotteskonzept. Es ist eine abstrakte Vorstellung, ohne das sich Herrschaft, also ein dominantes Oben gebündelt mit einem unterjochten Unten, nicht hätte durchsetzen lassen.

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Das Foto oben zeigt eine Nomaden-Jurte, diese steht allerdings nicht in Asien, sondern im Chiemgau. Wie einfach sich Jurten als Wohnhaus aufbauen lassen, auch winterfest, liest du unter Das neue Wohnen in Jurten und Domen

  1. Bott, Gerhard: Die Erfindung der Götter, 2007 unveröffentlicht []
  2. Calvert Watkins: The American heritage dictionary of Indo-European roots, 1985 []
  3. Johannes Irmscher: Lexikon der Antike, 2004 []

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