Der Beginn von Akkumulation und Geschlechtertrennung vor 6000 Jahren

Teil 8 / 12 der Serie Entstehung Patriarchat

Im letzten Beitrag der Serie ging es um das Bekanntwerden der Vaterschaft und den Begriff Nomade mit der Bedeutung „zuteilen, rationieren“.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Dazu wollen wir uns anschauen, wie Hirtennomaden leben. (Der Begriff Nomade wird manchmal auch für Wildbeutergruppen, Zigeuner oder andere verwendet, die keine Herden in ihrem Besitz mit sich führen. Da ist der Begriff nicht korrekt, weil es nichts zum zuteilen gibt.)

In den rein nomadischen Wirtschaften der Steppe bildeten die Schafherden den hauptsächlichen Reichtum. Das Schaf ist die geeignetste Tierart für Leben und Bedürfnisse der Nomaden und gibt mit seiner Milch, seinem Fleisch und Fett Nahrung, mit Fellen und Wolle Kleidung und Wohnung, mit dem getrockneten Mist Heizung und deckt fast die ganzen Lebensbedürfnisse seines Herrn. Wie bei den Nomaden selbst blieb daher auch bei der ansässigen Bevölkerung des Orients bis in die Gegenwart die einzige beliebte Fleischart das Hammelfleisch.

Besitz ja, Geld nein

Das Schaf ist aber nicht nur einfaches Wirtschaftsobjekt, sondern gilt beispielsweise bei den Kirgisen und Kasaken bis in die letzte Zeit auch im inneren Handel als Wertmesser und Zahlungsmittel. Die Kirgisen bezahlen untereinander stets mit Schafen. Statt mit Rubel rechnen sie mit „Tokti“, das ist ein einjähriges Schaf.1
Dieser bis heute bestehende Brauch zeigt, dass es im frühen Patriarchat zwar Besitz und Eigentum gibt, Geld aber keine Rolle spielt. Wir werden sehen, warum Geld in der Form, wie wir es kennen, später nötig wurde.

Der Hirtenalltag

Die nach Tierarten getrennten Herden der Nomaden laufen tagsüber frei herum; als Hüter braucht man gewöhnlich einen jungen Hirten. Zu bestimmten Stunden führt jemand die Herde zum Brunnen, um sie dann wieder frei laufen zu lassen. Gegen Abend werden die Herden zu der Jurte geführt, von den Frauen gemolken, und die ganze Nacht wegen der wilden Tiere (Nahrungskonkurrenz) sorgfältig unter Aufsicht gehalten. Morgens nehmen die Hirten ihre Herden wieder mit zu den Weideplätzen, und die Tiere suchen ihr Futter selbst. Das ist jahrein, jahraus der sich täglich wiederholende Ablauf der Dinge.

Lebensstil am Existenzminimum

Für bestimmte Zeiten des Jahres gibt es festgesetzte Weideplätze. Der schwerste Teil des nomadischen Lebens ist der Winter. Nomaden können sich nicht mit vielen Vorräten belasten, daher ist der Wintervorrat nur gering. Z.B. fehlt die Hauptnahrung des Sommers, die Milch, der als Nahrungsmittel mitgeführten Rinderherde. Die Milchkühe, die selber hungern, können keine Milch geben. Die Herden sind so weit ausgehungert, dass sie kaum leben können, und werden sie geschlachtet, geben sie wenig her; folglich schlachtet man die Tiere nicht. Der Nomade muss alles sparen, um den Winter durchhalten zu können. Manchmal liegt der Schnee so hoch, dass die Tiere gar keine Möglichkeit haben, das Gras hervor zu graben. Manchmal folgt dem Schneeregen ein kalter Wind und alles erfriert.

Solchen Situationen hat der Herdenbesitzer nichts entgegenzusetzen und die ganze Herde muss eine Tragödie erleben, d.h. der Ausbruch eines so genannten Juts (Verhungern) ist unausbleiblich. Hinzu kommt noch die Gefahr ansteckender Krankheiten. Nach einem einige Tage dauernden Jut kann der Besitzer von mehreren Tausenden von Tieren ein Bettler sein. Abgesehen vom Jut verschwinden in den harten Wintern der Wüste auch durch hungrige wilde Tiere ganz erhebliche Tiermengen. Die aufgezählten Wortbedeutungen „rationieren, ergreifen, schnell lernen, usw.“ für Nomade beschreiben überdeutlich, was Nomadenleben heißt.

Im Teufelskreis

Die nomadisierenden Hirten haben also eine Lebensweise entwickelt, in der sie immer wieder mit der Gefahr des Verhungerns konfrontiert sind. Das ursprüngliche traumatische Erlebnis ist in der Kultur fest verankert und wiederholt sich ständig, weil es von den Nomadenvölkern von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Bedrohung durch Verhungern, die Gefahr von einem Tag auf den andren alles zu verlieren, bei karger, ja asketischer Lebensweise und großer Sparsamkeit, gehören zum als normal erlebten Alltag.

Außenstehende können durch den Vergleich mit andersartigen Lebensweisen erkennen, dass dies nicht gerade die glücklichste Form des Daseins ist. Und Außenstehende können bemerken, dass diese Hirtenvölker selbst dazu beitragen, dass ihr Leben so und nicht anders verläuft.

Was auf den ersten Blick aussieht, als wäre das Hirtendasein nahe mit der Natur verbunden, entpuppt sich als künstlich erzeugte Situation, die nicht in Balance ist und Tragödien geradezu herauf beschwört.

Was tut der Nomade um dagegen anzukämpfen?

Er akkumuliert. Die Vermehrung durch Reichtum im nomadischen Sinne kann nur durch Tiergeburten geschehen. Anderen Kapitalvermehrungsarten – wie etwa Ackerbau – wurde in dieser Sozialstruktur nicht nachgegangen.

Das Wissen um die Rolle des Vaters wird genutzt

Wir wissen, dass die Herden immer unter freiem Himmel bleiben, deshalb sorgen die Nomaden dafür, dass ihre Tiere nicht zu früh, z.B. im Winter, und auch nicht zu spät gebären. Werfen sie zu früh im Frühjahr, sind das zarte Junge und das schwache Muttertier beide in Gefahr, weil der Hirte ihnen keinen wärmenden, geschützten Platz bieten, noch dafür sorgen kann, dass die schwache Mutter in der Lage ist ihr Junges zu nähren, der selbst die kräftige Nahrung fehlt.

Im Sommerquartier können die Herden nur für eine bestimmte Zeit bleiben und sollen genügend gefüttert werden, um wanderungsfähig zu sein. Bei späteren Geburten sind die Mutter und das Junge noch nicht genug bei Kräften, wenn die schweren, langen Wanderungen beginnen.

Geschlechtertrennung – die Herde ist immer weiblich

Daher zählen die Nomaden genau die Tage, an denen in der Herde die Geburten beginnen und wann sie zu Ende gehen sollen. Dementsprechend lassen sie den Bock in die Herde und halten ihn für eine bestimmte Zeit drin. Das war nur möglich durch das Erkennen der Vaterrolle im engen Umgang mit den Tieren.
Der Hirte kann meist beim ersten Blick feststellen, welche Tiere belegt sind. Nach Erledigung dieser Angelegenheit nimmt er den Bock wieder zurück. In den nomadischen Herden sieht man außer in dieser Zeit kein einziges ausgewachsenes männliches Tier. Nach solcher Vorbereitung wartet man auf den Frühling und die Geburten in den Herden, die entweder unterwegs oder im Sommerlager vor sich gehen. In möglichst kurzer Zeit soll alles geschehen und erledigt sein.

Dieser Zeitdruck bei Geburten hat sich bis in unsere moderne Zeit traditionell erhalten. Immer noch als normal angesehen wird eine künstlich herbei geführte Geburt, die durch starkes Pressen für Mutter und Kind schmerzhaft (und traumatisch) ist. Später, im entwickelten Patriarchat, wo der Akkumulationsdruck noch forciert wird, rechtfertigt man das verbindlich und schriftlich: „Unter Schmerzen wirst du deine Kinder gebären.“ (Bibel, Gen 3,1-16)

Im Sommerquartier erholen sich die vom Winter geschwächten Tiere und Menschen, besonders die neugeborenen Jungtiere. Nach der Frühjahrsschur und dem Verkauf eines Teils der Herde, begeben sich die Nomaden nach wochenlangem Wandern an einen meist höher gelegenen Ort, wo die Gräser nicht so schnell trocknen und die Sommerhitze nicht so stark ist. Dort findet das eigentliche nomadische Leben statt, ganz im Gegensatz zum Winter. Jetzt gibt es weder Sorgen noch Hunger und diese Zeit wird als die glücklichste betrachtet. Die Herden werden zum zweiten Mal geschoren, wieder ein Teil zum Jahrmarkt gebracht und der Rest zur Herbstweide geführt, um die Winterweiden möglichst zu schonen.

Im Ungleichgewicht: der Kampf der Menschen gegen die Natur

Dieser tradierte Verlauf ist im Großen und Ganzen bis heute überall derselbe geblieben. Dabei werden durch gezielte hohe Geburtenraten die Weideplätze zu stark ausgenutzt: überweidet. Das heißt, der Viehbestand pro Fläche ist unter den gegebenen trockenen klimatischen Verhältnissen zu groß. Durch das Weiden wird deshalb die Pflanzendecke immer schütterer und der Boden wird aufgelockert. Die Folge ist eine zunehmende Erosion, wodurch dem Pflanzenwuchs die Basis noch weiter entzogen wird.

Die Natur reguliert sich selbst: Weil die geschwächten Tiere der zu großen Herden a) anfälliger für Krankheiten b) leichtere Beute für wilde Tiere und c) schneller verhungert sind, wird die Anzahl immer wieder radikal dezimiert. Die Menschen bezeichnen das als Tragödie oder Schicksalsschlag, ohne sich ihres eigenen Zutuns bewusst zu werden, und sie versuchen noch gezielter zu vermehren, mehr zu sparen, asketischer zu leben.
Nomadisches Handeln bedeutet in der Konsequenz: gegen die Natur und ihre Gesetze zu handeln, und da das nicht geht: ein Verlierer-Dasein zu führen.

Der nomadische Vermehrungsdrang in unserer Zeit

Nomaden leben und agieren innerhalb des patriarchalen Paradigmas. Dass auch nicht-nomadische Menschen innerhalb dieses Paradigmas den gleichen Handlungsmustern folgen, zeigt sich am deutlichsten im Bereich der Entwicklungshilfe. Bei diesen als „Hilfe“ bezeichneten Eingriffen, werden kontinuierlich Elemente der Industrienationen auf andere Kulturen übertragen, deren Sozialstrukturen nicht bekannt sind oder ignoriert werden.

Ein Beispiel: Eine äußerst lang anhaltende Dürreperiode in der Sahelzone dauerte von den späten sechziger bis in die frühen achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts; sie war die schlimmste Dürre seit 150 Jahren und galt als Anzeichen für ein zunehmend trockeneres Klima in der Region. Die Auswirkungen der Dürre wurden durch Entwicklungshilfeprojekte drastisch verschlimmert, weil „tiermedizinische Versorgung“ und neu gegrabene Brunnen zu einem starken Wachstum der Viehherden führte. Die Folge waren zu große Viehbestände und Überweidung in den Grenzbereichen des aus ökologischer Sicht extrem empfindlichen Lebensraumes. Wo wenige Menschen mit wenigen Tieren eine Überlebenschance gehabt hätten, führte Maximierung zum sicheren Tod aller. Ins gleiche patriarchale Raster passt falsch angewandter „Tierschutz“, wo z.B. als Folge in den siebziger Jahren im Tsavo-Nationalpark die Elefantenpopulation explodierte.

Die Natur spricht, man muss nur hinhören

… sagen die Yanomami-Indianer, die im Regenwald des brasilianischen Amazonasgebiets leben. Die Männer sind Jäger und Fischer, die Frauen versorgen Hütte und Feld. Sie töten nie auf Vorrat oder im Übermaß. Wenn eine Yanomamifrau ein Kind bekommt, geschieht dies im Beisein einer anderen Frau außerhalb des Dorfes. Sollte die Mutter neben dem neu geborenen Baby noch ein Kind haben, das ihre Hilfe häufig benötigt da es noch jung ist, so wird das Neugeborene getötet. Ebenso werden Babys, denen man bereits nach der Geburt eine Behinderung ansieht, getötet. Sollte eine Yanomamifrau Zwillinge gebären, so tötet sie das schwächste Baby, meist das zuletzt geborene. Hat die Mutter einem Baby bereits Muttermilch gegeben, so wird es am Leben gelassen, auch wenn man später eine Behinderung feststellt. Für unser mit christlicher Seife gewaschenes Gehirn sind diese Maßnahmen schwer verdaulich. Aber angesichts der Lebensbedingungen im Urwald sind sie nötig. Denn zu schwache Indianer kann das Dorf nicht tragen.

  1. Schakir-zade, Tahir: Wirtschaft und Wirtschaftsformen bei den Nomadenvölkern. In: Vor- und Frühgeschichte Israels (Etnologische Texte zum Alten Testament ) Bd. 1, 1989, S. 30 – 44. []

4 Kommentare

  • Nu les ich hier schon ne ganze Zeit immer heimlich und hochinteressiert, zuweilen gar mit Entzücken über die eine oder andere auch mir neue Einsicht mit, aber beim Lesen des letzten Absatzes lief mir schon irgendwie der unwohlige Schauer des Entsetzens über den Rücken wie damals in den ersten Minuten des Films „300“ (mit den ganzen Babyskeletten am Fuße der Schlucht… *weia*)

    Richtig schlimm war es aber schon ein bissl vorher: der Vergleich zwischen den Lebensbedingungen der den jahreszeitlich diktierten Witterungsverhältnissen ausgesetzten und damit zum vorausschauenden Haushalten gezwungenen Nomadenvölker wie z.B. in der Mongolei oder anderswo mit denen der im brasilianischen Regenwald (sic!) bei relativ konstantem Klima und daher gleichbleibendem Nahrungs- und Ressourcenangebot lebenden Yanomami-Indianer taugt sowas von überhaupt nicht als Erklärungsmodell für die wie auch immer geartete Überlegenheit des einen oder anderen Paradigmas, daß es knirscht. Das ist wie „Cola schmeckt besser als kalt, denn nachts ist es dunkler als draußen.“

    Wirklich mal.

  • @Akareyon – Wenn die Yanomami-Indianer im Überfluss lebten, müssten sie keine Geburtenkontrolle üben.

    Von Ureinwohnern ist bekannt, dass sie sich mit vielen Arten von Geburtenkontrolle auskennen und sie anwenden, wenn nötig. (Empfängnisverhütung bei Naturvölkern)

    Wenn nötig! Denn es liegt ja auf der Hand, dass eine größere Gemeinschaft in mehrfacher Weise stärker ist.

    Es gilt hier, ein Gleichgewicht zu halten, darauf zielen Ureinwohner ab.
    Den traumatisierten Hirtennomaden mit ihrer extremen Verunsicherung und Angst, ging diese Fähigkeit verloren. (Charakterveränderung, vgl. Wilhelm Reich, ich komme später noch darauf)

  • Mari

    Anmerkung zum Absatz: „Lebensstil am Existenzminimum

    …Milchkühe, die selber hungern, können keine Milch geben…“

    Die Laktation (Milchbildung) tritt bei allen Säugetieren, einschließlich uns Menschen, nur in einem begrenzten Zeitraum nach der Geburt des Nachwuchses auf.

    Im Winter geben die Kühe der Nomaden keine Milch, nicht weil sie alle selber hungern, sondern weil die Milchbildung nur aufrecht erhalten werden kann, wenn die Kühe wieder Kälber gebären.

    Die Kuh gibt nicht „automatisch“ das ganze Jahr über Milch. Sie ist Babynahrung für das Neugeborene.

    Wir Menschen sind bis heute die einzigen Tiere (außer der domestizierten Katze), die als Erwachsene noch Milch (noch dazu einer anderen Spezies) zu uns nehmen.