Die Geschichte der ersten Anarchie (Video)

Friede und Harmonie: Anarchie

So wie im Comic1 stellen sich viele eine Anarchie vor. Aber so sieht eher unsere hierarchische Demokratie aus.

Das exzellente Video2 von The Unity deckt Vorurteile und Desinformationen zum Thema „Anarchie“ auf, so dass auch der/die Letzte verstehen müsste, dass Demokratie nichts ist, was man beibehalten sollte.

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a~ ist eine verneinende griechische Vorsilbe wie un~ im Deutschen, und ~archie kommt von grch. archein, archos, arché und heißt ‚zuerst sein, Anfang‘. Wir kennen die Sage von Noah, der mit seiner Arche einen neuen Anfang wagte. Die Archäologie lehrt (gr. logos = Wort, Rede) über die Dinge vom Anfang; das, was zuerst da war. Vgl. auch Oligarchie (grch. oligoi = wenige), oder Monarchie (grch. monos = einer); ein König oder Fürst beispielsweise, der im ganzen Land ‚der Erste‘ war.

Durch die Verneinung gibt es demnach in einer Anarchie keinen Ersten.

Geschichte der Anarchie

Im antiken Athen wurden nach dem Königtum die Archonten eingeführt. Sie waren „die Ersten“ in ihrem Bezirk, vergleichbar mit einem Gouverneur oder Senator. Im Jahr 404 v.u.Z. gab es einmal keine Archonten. Es wurde das „Jahr der 30 Tyrannen“ genannt: Ein Gebiet ohne Regierung, Anarchia. Wie passt die anarchistische Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung zu „Tyrannen“? Es bleibt nichts übrig, als etwas tiefer in unsere Geschichte einzutauchen.

Der Peleponnesische Krieg in Kurzform

  • Es ist das Jahr 431 v.u.Z. Der Attische Seebund, ein freiwilliges Verteidigungsbündnis freier griechischer Städte, wurde von Athen – einem Mitglied des Bundes – mehr und mehr zu einem reinen Macht- und Zwangsinstrument missbraucht. Athen arbeitete am Ausbau und der Sicherung seiner Vorherrschaft im Raum des Ägaischen Meers.
  • Der Peloponnesische (Land-)Bund unter der Führung Spartas stellte ein effektives Gegengewicht zu den Bestrebungen Athens dar.
  • Athen, zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner kulturellen Blüte, war eine Demokratie. Spartas Herrschaftsform dagegen war eine Mischverfassung, wobei die Spartaner Oligarchien bevorzugten. Dieser Unterschied bestand auch bei den jeweiligen Verbündeten.
  • Wie wichtig dieser ideologische Gegensatz war, zeigt sich in der Tatsache, dass Sparta nach Kriegsende im besiegten Athen sofort eine Oligarchie einführte.
  • Während des Krieges kam es auf Seiten der Athener zu zahlreichen Militäraktionen gegen abtrünnige Verbündete3, auch gegen neutrale Stadtstaaten (Poleis). So wird etwa Melos, ursprünglich neutral, von den Athenern entgegen bestehender Verträge angegriffen und erobert. In dem Melierdialog4 rechtfertigen die Athener ihr Handeln mit dem „Recht des Stärkeren“. (Daher kommt dieser Ausdruck.)
  • Der Krieg dauerte, unterbrochen von einigen Waffenstillständen, von 431 bis 404 v.u.Z. und endete mit dem Sieg der Spartaner. Er war mit einer bis dahin beispiellosen Brutalität geführt worden und hatte die Macht Athens gebrochen.
  • Nachdem Athen eingekesselt und schließlich ausgehungert kapitulierte, brach in der Stadt Panik aus: Man befürchtete, dass man nun mit ihnen so umgehen würde, wie sie selbst in der Vergangenheit mit besiegten Gegnern verfahren waren.
  • Dies war die Situation, die das oligarchische Dreißigmänner-Kollegium vorfand, das unter spartanischer Oberaufsicht die Stadt Athen regieren sollte. Sie ist vergleichbar mit der französischen Revolution und anderen wütenden Aufständen gegen Ausbeuter und Unterdrücker. Die „Ersten“ des Staates – König/Königin und Aristokratie – landeten unter der Guillotine. Auch die 30 Oligarchen von Athen machten mit ihren politischen Gegnern kurzen Prozess und sicherten ihre Position, indem sie z.B. aus ihren Freunden die Beamten für Staatsämter wählten. Deshalb wurden sie „Tyrannen“ genannt und ihre 8monatige Regierungszeit „Anarchie“.

Es war für mich nicht erkennbar, warum man diese 30 Männer, die zwar keine Engel waren, als Tyrannen bezeichnet und die Athener beispielsweise nicht. Klar wurde es mir erst, als ich den Zusammenhang mit Sokrates erkannte. Einige Schüler von Sokrates gehörten nach der Niederlage Athens im Jahre 404 v.u.Z. zu den dreißig „Tyrannen“, die gegen eine Demokratie waren und daher Athen abhängig von Sparta machen wollten. Als die Demokraten wieder Macht erlangten, stuften sie die Wegweisungen von Sokrates als anti-demokratisch und gefährlich ein und klagten ihn an.

Sokrates Geisteshaltung

Sokrates Ideen wurden erstmals durch die Inschrift des Orakels zu Delphi inspiriert, die lautet: „Erkenne dich selbst!“

Im Gegensatz zu den Sophisten versuchte Sokrates nicht, die Leute durch Überreden zu beeinflussen und zu täuschen, sondern er wollte erreichen, dass sie aus eigener Überzeugung zu der ‚richtigen‘ Erkenntnis kamen. Er vertrat die Auffassung, dass die Leute, die erkannt haben, was richtig oder falsch ist, auch richtig handeln würden. Diejenigen, die nicht erkannt haben, was richtig oder falsch ist, würden nur auf Grund von Nichtwissen bzw. Scheinwissen Schandtaten begehen.

Ein Zitat von Sokrates besagt: „Niemand tut freiwillig (wissentlich) unrecht!“

Es handelt sich bei den Lehren des Sokrates um eine Aufforderung zu einem Bewusstseinsprozess, die einen starken Einfluss auch auf unsere heutige Zeit genommen haben. Mein Blog verfolgt das gleiche Ziel: Bewusst werden.

Kein Wunder, dass Arme wie Reiche der damaligen Demokratie, sich gegen die Verbreitung dieser Lehren gewehrt haben. Da muss man Eigen-Verantwortung übernehmen und kann sie nicht den demokratisch Gewählten übergeben.

Wer sich selbst erkennt und aus aus diesem Wissen heraus handelt, ist nicht mehr dumm genug, sich den von Menschen ausgeheckten „göttlichen“ Gesetzen zu unterwerfen. Deshalb wurde Sokrates wegen „Gotteslästerung“ zum Tode verurteilt. Der andere Grund war „Verführung der Jugend“ – denn Sokrates lehrte auf den öffentlichen Plätzen Athens griechischen Knaben seine Philosophie, indem er Dialoge mit ihnen abhielt.

Die acht-monatige Anarchie Athens stand also im Geist einer freien, selbstbestimmten Lebensanschauung, im Gegensatz zur tatsächlich tyrannischen Demokratie. Das hat sich bis heute nicht geändert.

  1. Comic von Stephan Pastis []
  2. Video via Dianne’s []
  3. Guter Spiegel-Artikel: Athen gegen Sparta []
  4. Der Melierdialog ist eine Bezeichnung für eine berühmte Episode im Geschichtswerk Der Peloponnesische Krieg des griechischen Historikers Thukydides. Es treten darin auch die durch den Krieg bedingte Verrohung und Verachtung für Sitten und Werte deutlich hervor. Die melischen Oligarchen erklärten Athen, dass sie sich weigerten ihre 700jährige Freiheit aufzugeben und sich einer Unterwerfung widersetzen wollten. Die Athener begannen daraufhin mit der Belagerung der Stadt, die nach einem halben Jahr durch Verrat endete. Die Athener richteten alle Männer aus Melos hin und verkauften die Frauen und Kinder in die Sklaverei. Die naturrechtlich anmutende Grundthese vom Recht des Stärkeren dient für Thukydides gleichzeitig als eine Offenlegung der Triebfedern der Machtpolitik, vor allem des Machterhalts. Durch die von Thukydides vorgenommene Art und Weise der Darstellung der Athener Motive, nämlich vollständig befreit von der üblichen Rhetorik über edle Moral und Gerechtigkeit, mit der Kriege oft begründet werden, und stattdessen sich völlig auf das nüchterne Kalkül der Machtausübung und des Machterhalts zu beschränken, legt er Wahrheiten offen, die auch heute noch so aktuell sind wie vor 2.400 Jahren. []

3 Kommentare

  • Anette Breiler

    Was an diesen Tatsachen so schockierend ist, ist dass gerade die griechische Altertumsgeschichte die Grundlage bot um das „Heldentum“ und die „Vaterlandverteidigung“ zu glorifizieren, intellektuell zu verpacken und Millionen von Soldaten in Verblendung zum Schlachtfeld zu führen und dabei auch noch Hurra zu schreien. Und das ist nur eine der vielen Fehlentwicklungen die aus diesen Verkehrungen der Moral entstanden sind oder zumindest verstärkt wurden.

  • Ulrike Graf

    Liebe Hannelore,

    ich bin dankbare Empfängerin Deiner mails!

    Gerne würde ich z.B. diesen Text an meine Freundin in Israel weitergeben, nur halt nicht in deutsch!
    Frage. gibt es Deine Texte auch in englisch?

    Alles Liebe für Dich,

    von Ulrike.

    • Hannelore Vonier

      Liebe Ulrike, ganz oben über dem Blog gibt es einen Button „translate“. Wenn man den klickt wird die Seite maschinenübersetzt. Meine amerikanischen Freunde kommen damit zurecht.