Frühe humane Sozialsysteme

Teil 3 / 4 der Serie Was ist Kultur?

Frühe Sozialsysteme

Gehen wir davon aus, dass eine als Kultur bezeichnete menschliche Lebensweise ein geschlossenes Netz von Umgangsformen ist, dann liegt deren Entstehung genau an dem Punkt, wo die Gemeinschaft beginnt, diese Lebensweise zu bewahren. Der Lifestyle wird tradiert, also von Generation zu Generation weiter gegeben.

Wenn das Netz der Umgangsformen nicht mehr bewahrt wird, verändert sich diese Kultur oder verschwindet ganz.

Es stellt sich deshalb die Frage:

Warum wird ein Umgangsformen-Netzwerk aufgegeben und nicht mehr von Generation zu Generation weiter vermittelt?

In der Menschheitsgeschichte haben wir es mit der anfänglichen Ur-Kultur zu tun, die jahrtausendelang ein bestimmtes, gleich bleibendes und geschlossenes Netz von Umgangsformen aufweist.

Von den

  • steinzeitlichen Sammlerinnen und Wildbeutern
  • über die Ackerbäuer/innen der neolithischen Revolution
  • bis zum Städtebau und den komplexen Wirtschaftssystemen der friedlichen anatolischen Kulturen.

Mal ganz ehrlich – was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Wort »Steinzeit« hören? Der halbnackt in ein Bärenfell gewandete Fred Feuerstein vielleicht, der seine Wilma an den Haaren in die Höhle schleift oder mit der Keule Bisons erschlägt? Ein Klischee, zweifellos, aber ein tief sitzendes. Denn »Steinzeit« – das steht als Synonym für Primitivität und Mangel, Brutalität und harten Überlebenskampf.

Kultur, Technik, Wohlstand, eine Verfeinerung der Sitten gar – das wäre vermutlich das Letzte, was wir im Neolithikum verorten würden. Einer Epoche, in der um 11.000 v. Chr. in den Pyrenäen noch Höhlenwände bemalt wurden und die erst um 9.700 v. Chr. das Ende der Eiszeit erlebte, in der jedoch bereits um 10.200 v. Chr. die bislang älteste bekannte Steinzeitstadt Halan Cemi entstanden war.

Die Steinzeit – ein Zeitabschnitt von gut 6.000 Jahren, in der die »Neolithische Revolution «den Menschen nicht nur Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht bescherte, sondern auch hoch entwickelte und überaus humane Sozialsysteme. Eine Epoche, die so völlig anders war als Fred Feuersteins brutale Comic-Welt.

Erst an ihrem Ende setzte sich ganz langsam, zwischen 4.000 und 3.000 v.Chr., ein anderes System durch – eine Kultur, die von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung geprägt war. Die neuen ›Kulturträger‹ waren an Macht interessiert; sie nutzten die Innovation der Metallverarbeitung zur Herstellung von Kriegswaffen und die Erfindung der Schrift zur Fixierung von Gesetz, Eigentum und Strafe. Es war die Geburt eines Systems, das wir heute ganz allgemein den modernen Staat nennen. (Horst Stowasser1)

Auch wenn nach außen hin die verschiedenen Völker der Ur-Kultur sehr unterschiedlich erscheinen, so basiert ihr Verhalten doch auf dem gleichen Gefühls/Sprach-Handlungs-Netzwerk. Die äußerlichen Verschiedenheiten entstehen etwa durch andere Umweltbedingungen in den jeweiligen geografischen Regionen, verschiedenes Temperament der Menschen und überhaupt durch die Dynamik, die jede Gemeinschaft individuell entwickelt.

Etwa 5000 v.u.Z. fand ein kultureller Wandel statt, der verheerende Folgen mit sich brachte. Wir werden sehen, wie es dazu kam.

  1. Das Zitat stammt aus dem Buch von Horst Stowasser Anarchie!: Idee – Geschichte – Perspektiven und ist auch auf Jochens Website „Mama-Anarchija.Net“ als pdf-Datei veröffentlicht. Auch von Stowasser: Leben ohne Chef und Staat: Träume und Wirklichkeit der Anarchisten []