Die heilige Jungfrau war ein Cowgirl

Teil 11 / 12 der Serie Entstehung Patriarchat

Im letzten Beitrag zur Entstehung des Patriarchats kamen wir an den Punkt in der Geschichte, wo sich von den frühen Hirtennomaden die sesshaft werdenden Viehzüchter abspalteten.

Bis heute lebt das Hirtentum in den wandernden Hirten fast unverändert weiter. Ob im Süden der Ukraine, in der Mongolei oder anderen Ländern Zentral-Asiens, sie leben noch genau wie ihre Vorfahren. Das Vieh wird jahrein, jahraus, zu den Sommer und Winterweiden geführt. Wobei die Sommerweiden höher im Gebirge liegen, weil dort das Gras saftig wächst und nicht vertrocknet.

Im Winter können die Herden hier wegen des Schnees und gefrorener Böden kein Futter finden, und werden ins Tal getrieben. Diese Tradition blieb nicht nur im Ausgangsgebiet Vorderasiens erhalten, sondern wir kennen aAlmabtrieb - Kreuzsymbol bei der Leitkuhuch bei uns, nämlich im Alpenraum, den herbstlichen Almabtrieb und den Auftrieb im Frühsommer.

Eine besondere Rolle spielt dabei die sogenannte Kranzkuh. Mit einem prächtigen Kopfschmuck ausgestattet, führt sie bergab in die Ställe die Herde an. Traditionell enthält der Kranz aus Zweigen, Blumen, Gräsern und Bändern auch ein Kreuz, das Symbol des Fruchtbarkeitskults schlechthin (über dem Kreuz ist die heilige Jungfrau abgebildet, dazu gleich mehr).

Auch andere Herden werden ab-/aufgetrieben, zum Beispiel beim Tiroler Almabtriebsfest, wo Viehzüchter, Hirten und Senner mit hunderten von  Bergschafen und Haflingern einen 30 km langen Heimweg antreten.

Trotz moderner Technologie, Maschinen und Internet: Die alten und ersten patriarchalen Elemente ziehen sich durch die Kulturgeschichte wie ein roter Faden.

Auch Ureinwohner nutzen heute moderne Errungenschaften, aber sie haben keine heiligen Kühe, tanzen um kein goldenes Kalb und würden auch kein Tier mit einem Kreuz schmücken.

Die Viehzüchter

Die gezielte Vermehrung der Herdentiere hatte Folgen: Sie brauchten mehr Futter. Wo immer Hirtennomaden auf fruchtbares Land trafen, wurden sie sesshaft, weil das Leben an einem Ort mit tausenden von Tieren einfacher war. Man zäunte sie ein und ließ sie weiden.

Fruchtbarer Halbmond

"Fruchtbarer Halbmond". Historische Orte sind gelb markiert. Klick zum Vergrößern.

Das geschah während einer Zeitspanne von etwa dem 7. bis 3. vorchristlichen Jahrtausend im Raum Ost-Anatolien, Kaukasien und Obermesopotamien, einem vulkanischen, und daher sehr fruchtbaren, Gebiet. (Siehe Karte )

So bedeutete das griechische Wort nomos, verwandt mit „Nomade“, ursprünglich „die Weideordnung, parzellieren“. (Siehe auch Rationierung, Zuteilung – der erste Rechtsbegriff)

Die Bezeichnung Viehzucht ist nur zutreffend, wenn die Menschen tatsächlich mit der Zuchtwahl unter Verfolgung von Zuchtzielen die Fortpflanzung beeinflussen und lenken. In den frühen Agrargesellschaften war dies jedoch nicht der Fall, weswegen in der Vor- und Frühgeschichte von Viehhaltung gesprochen wird, die selbstversorgerisch in vergleichsweise geringem Umfang betrieben wurde.

Hauptziel der Zucht ist die Herausbildung und Verbesserung gewünschter Eigenschaften – meist Leistungseigenschaften – und die Vermeidung ‚ungünstiger‘ Eigenschaften.

Dies wird durch planmäßige, künstliche Selektion, also Auslese oder Zuchtwahl, erreicht. Träger/innen unerwünschter Eigenschaften werden von der Zucht ausgeschlossen.

Die heilige Kuh – die heilige Jungfrau

(Jung-)Frau und Kuh sind austauschbar, wie eine Opfergeschichte zeigt, die von Plutarch nach einem Bericht des Aristodemos erzählt wurde, wo bei einer Pest in Sparta ein Adler dem Priester das Opferschwert wegnahm, mit dem er die Jungfrau Helena opfern wollte, und das Messer auf eine junge Kuh legte, welche dann stattdessen geopfert wurde.

Die Erzählung war auch als römische Variation beliebt. Dort hieß die junge Frau Valeria Luperca und eine Kuh wurde statt ihrer geopfert, damit die Götter die Pest fernhielten. (Quelle: Rosenmüller et.al. Das alte und neue Morgenland)

Die griechische Mythologie erzählt von Io, einer Priesterin der Hera in der Stadt Argos. Wegen Ihres Liebesverhältnisses zu Zeus wird Io von Hera in eine Kuh verwandelt, welche den alles sehenden Argos zum Hüter erhielt. Auf Bildwerken erscheint sie entweder als gehörnte Jungfrau oder als die von Argos bewachte Kuh.

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Griechische Münzen der gehörnten Io, jeweils ein gehörnter Stier auf der Rückseite. 4. Jh. v.u.Z. geprägt in der Münzerei Larisa Phrikonis in Äolien, einer Landschaft an der Nordwestküste Kleinasiens, in der heutigen Türkei.

Das Kranz-Symbol

Eine Jungfrau ohne Kräntzlin ist wie eine Kuh ohne Schelle. (Volksmund)

Ein Kranz (griech. stephanos, lat. corona) ist ein reifartiges Gewinde von Laub und Blumen und mit der Krone verwandt, also mit Herrschertum. Bekränzt wurden in historischer Zeit Sieger bei Wettspielen, Triumphatoren, Caesaren, aber auch Opfertiere und überlebende Gladiatoren. Wer verspottet werden sollte, bekam einen Kranz aus Dornen, eine Dornenkrone…

Da fragte sie der Perser, was denn dabei für ein Kampfpreis ausgesesetzt wäre. Sie aber sagten, jene feierten das Olympische Fest… der Sieger bekäme einen Kranz von Ölzweig. Herodot, Buch 8, 26

Echte Kronen sind nicht selten wie metallene Kränze gestaltet; symbolkundlich sind Übergänge feststellbar: lateinisch „corona“ und englisch  „crown“ bedeutet Krone und Kranz zugleich.

Auch heute sind noch Siegerkränze üblich, z.B. bei überlebenden Gladiatoren Rennfahrern, und das Kranzgeld, als finanzielle Entschädigung für ein nicht gehaltenes Eheversprechen wurde erst 1998 aus dem BGB gestrichen (Details Kranzgeld).

Diese Beispiele machen deutlich, wie ineinander verwoben die Sitten in Bezug auf Mensch und Tier sind, und insbesondere im Zusammenhang mit Besitzansprüchen!

Auch die Angewohnheit Menschen mit Tieren zu vergleichen und mit Tiernamen zu bezeichnen – als Kose- oder Schimpfwort – zeigt, wie weit die Natur an sich aus den Augen verloren wurde.

Vordergründig betrachtet scheinen wir eng mit der Natur und unseren vierbeinigen ‚Freunden‘ verknüpft zu leben. Aber wie bei den ersten Hirtennomaden, die die Tiere zum Besitz machten, ist genau das Gegenteil der Fall.

Wir leben in einem unnatürlichen, kranken Sozialkonstrukt, und ziehen Flora und Fauna mit in unseren Sumpf, indem wir sie vermenschlichen. (Vgl. ein Weihnachtsmärchen)

Naturvölker tun genau das Gegenteil: Sie beobachten wilde Tiere und Pflanzen sehr genau, erkennen die speziellen Charakteristika der Spezies und nehmen sie zum Vorbild. Bei den Indianernationen gibt es einen besonderen Ausdruck dafür: Totem.