Modernes Kavaliersdelikt: Grabraub.

Eine Sendung über die Maya-Kultur des TV-Senders PHÖNIX (In den Todeskammern der Maya) hat mich ins Grübeln gebracht. Forscher durchsuchen im Dschungel Mittelamerikas Maya-Ruinen.

„Reste einer der großen Kulturen der Menschheit. Generationen von Archäologen zogen sie in ihren Bann. Pyramiden und Paläste, steinerne Erinnerungen an ein versunkenes Reich.“ heißt es im Vorspann.

Die ersten Sätze des eigentlichen Films sind folgende:
„In den Maya-Bergen Belizes – Bewaffnete Männer bahnen sich einen Weg durch den Urwald – Die Gewehre sollen das internationale Forscherteam vor skrupellosen und bestens ausgerüsteten Grabräubern schützen“.

Fotos aus dem Film: Sind das die „Guten“?

Dann findet das Team Fundamente einer Mayapyramide und eine Öffnung im Boden.

Kommentator: „… die Fundamente einer bisher unbekannten Maya-Stadt. Die Einschnitte unterhalb der Tempelspitzen zeigen, sie sind nicht die ersten hier. Raubgräber sind ihnen zuvor gekommen.“ (Die Forscher gucken in ein leeres Loch.)

Seltsam … die Stadt ist unbekannt, aber sie sind nicht die ersten hier?? Vielleicht waren es ja Archäologen der anderen Generationen? Heißen die dann auch Grabräuber?

Die Forscher nehmen Boden- und Materialproben der Fundstücke für spätere Laboruntersuchungen: Jadeperlen, Gefäße, Knochen und Schädel.

Zwanzig Minuten später im Film trifft der Teamleiter, der Bonner Archäologe Pierre Colas, den italienischen Forscher Francisco Estrada-Belli auf dessen Wagen steht „Maya-Hunter“. Nun, der Italiener ist wenigstens ehrlich.
„Gefördert von der National Geographic Society hat er eine Entdeckung gemacht, die selbst die neidischsten Kollegen als Sensation bezeichnen“ lässt uns der Kommentator wissen.

Bei dieser Sensation handelt es sich um überwachsene Ruinenhügel im Dschungel, auf denen man stundenlang gehen kann. Es sind die Ruinen einer Maya-Stadt von etwa 300 v.u.Z., also zu der Zeit von Römern und Griechen.

Foto aus dem Film: Wandrelief mit Spirale,
ein typisch matriarchales Symbol

Den Archäologen ist klar, dass es sich um heilige Orte handelt. Gezeigt wird ein „Eingang in die Unterwelt, die man betreten kann wie eine Höhle.“ Die Forscher nennen sie „heilige künstliche Höhlen“.
Dann wird im Film ein unterirdischer Fluss gezeigt, den das Team erkundet. Was sie finden ist sensationell. Sie müssen etwa einen Kilometer lang schwimmen, klettern und wieder schwimmen.

Foto aus dem Film: 2 Leute vom Team schwimmen in die Höhle.

Im heiligen Buch der Maya wird ein solcher mythologischer Fluss beschrieben: Ein blutroter Fluss, der zum Herzen der Erde fließt. Wie bei den eleusinischen Mysterien durften nur die Priester und die Einzuweihenden diese Unterwelt betreten.

Die Archäologen kommen zu einer Höhle „gewaltig wie eine Kathedrale“, angefüllt mit Keramiktöpfen. Die Ähnlichkeit zu den heutigen Maya-Einweihungen, so wie allen anderen Beschreibungen von Initiationen junger Männer, die mir von matriarchal lebenden Völkern bekannt sind, ist auffallend.
Und doch fragt der Kommentator: „Sind dies die Zeugnisse von Todesritualen?“. Ja tatsächlich: In einem Seitengang liegen die Schädel und Knochen von 14 Toten!

Wenn das kein Beweis ist.

In den kilometerlangen Unterwassergängen finden sich noch jede Menge Knochen und Schädel, Wandritzereien und Keramikgefäße. Es ist ganz offenbar ein Friedhof. Die alten Maya brachten ihre Verstorbenen zurück in die Unterwelt, tief in den Bauch der Erde, und ins Wasser, wo der Zyklus der Wiedergeburt von neuem beginnt. Diese offensichtliche Erklärung wird im Film allerdings nicht gegeben. Ständig ist die Rede von Opferkult und blutigen Opferritualen.

Ich frage mich, was passieren würde, wenn Abgesandte z.B. von einem Indianerstamm, mit Schaufel, Messgeräten und Packkisten nach Europa kämen, um die Gräber auf unseren Friedhöfen mal etwas genauer zu untersuchen … Auf einem Soldatenfriedhof kämen sie vielleicht auch zu dem Schluss, dass hier Opferrituale stattgefunden hätten. Wobei sie nicht mal falsch liegen würden.

Aber solche forschenden Indianer würden keine Erlaubnis erhalten, auf einem Friedhof zu buddeln. Das würde als Leichen- oder Grabschändung bezeichnet werden. „Internationale Wissenschaftler“ – sprich solche aus den Industrieländern, bekommen jedoch die Erlaubnis in Guatemala oder Yukatan oder sonst wo zu graben. Nein nicht von den Maya-Nachkommen, sondern von der jeweiligen patriarchalen Regierung.

Grabraub gibt es nur im Patriarchat. In zahlreichen Abenteuerfilmen und -Computerspielen wird der Grabraub als Schauplatz thematisiert und überwiegend unkritisch als „Kavaliersdelikt“ eingebaut. Das bekannteste Beispiel ist die multimediale, computergenerierte Heldin Lara Croft.

Es gibt unzählige Beispiele, wo bis heute ehemalige Kolonialvölker die Herausgabe ihrer Kulturgüter fordern, die in westlichen Museen ausgestellt werden, in Archivkellern lagern oder in Privatbesitz unzugänglich für alle sind. Beispiele sind der indianische Kennewick-Mann oder der Fall des Österreichers Reischek, der die Maori ausplünderte.

Aber es war nicht immer so. Dr. Bernhard Brosius schreibt über die steinzeitliche Stadt Catal Hüyük:

Raub selbst als Kriminaldelikt ist archäologisch nicht nachweisbar, wohl aber Grabraub als besondere Form des Raubes.
Grabraub gibt es in allen Kulturen, in denen Gegenstände einen Tauschwert haben, diese Werte ungleich in der Gesellschaft verteilt sind und Toten große Werte ins Grab gelegt werden, während Lebende im Elend leiden.

Keine Sanktionen, nicht grausamste Hinrichtungsarten, Flüche der Götter, Erwartung furchtbarer Qualen im Jenseits haben Menschen je daran gehindert, unter solchen Umständen Gräber zu plündern, weshalb Grabraub seit den Uranfängen der Klassengesellschaft stets gegenwärtig ist.

In Gesellschaften jedoch, in denen Produkte keinen Tauschwert haben, da sie lediglich Gebrauchsgegenstände sind, die nach Bedarf produziert und geteilt, nicht aber getauscht werden [gilt für subsistenzwirtschaftliche, indigene Gesellschaften], entfällt auch jedes Motiv für Grabraub.

Im Patriarchat ist Grabraub etwas so Normales, dass niemand auf die Idee kommt, ihn abzustellen.