Die Krankheit des konkurrierenden Vergleichs

Konkurrierender Vergleich

In einer Wettbewerbs-Gesellschaft ist es notwendig, sich von anderen Menschen abzugrenzen und sie „klein“ zu machen.

In den von Wettbewerb und Konkurrenz dominierten westlichen Gesellschaften werden eher Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen betont.

Religiöse Unterschiede, Hautfarben, Nationalitäten, Klassenunterschiede, wie arm und reich, auch Berufsstände oder der Unterschied zwischen Mann und Frau werden den modernen Menschen ab dem Augenblick ihrer Geburt anerzogen.

Dieser ganze Prozess des Unterscheidens basiert auf einem damit einhergehenden Bewerten dieser Unterschiede.

  • Christen sind besser als Muslime (oder umgekehrt)
  • reich ist besser als arm
  • ein Arzt ist besser als ein Müllmann

Gerade das Bewerten der Unterschiede ist es jedoch, welches ein ganz spezifisches, destruktives Verhaltensmuster im Menschen zur Folge hat. Dieses Verhaltensmuster ist die Krankheit des „konkurrierenden Vergleichs“.

Auf der emotionalen Ebene unseres Daseins lässt sich dieser Prozess leicht veranschaulichen. Auf Grund der Tatsache, dass der Mensch gelernt hat sein Selbstwertgefühl über den „konkurrierenden Vergleich“ mit seinen Mitmenschen aufzubauen, wird die gesunde Entwicklung des Selbstwertgefühls blockiert. Die Folge ist, dass auf unausweichliche Weise sogenannte „Sekundärgefühle“ in ihm entstehen.

Misstrauen, Neid, Gier und Eifersucht

Sekundärgefühle wie Misstrauen, Neid, Gier und Eifersucht sind die unumgänglichen Folgeerscheinungen einer Verhaltensweise, die es notwendig macht, sich von anderen Menschen abzugrenzen und sie „klein“ zu machen. Nur auf diese Weise ist es unserem Ego möglich, sein Selbstbild aufrecht zu erhalten.

Natürlich führt das Verhaltensmuster des „konkurrierenden Vergleichs“ zu immer weiterer Abgrenzung, weil ein Mensch sich nie sicher sein kann, in einer Gesellschaft, die von Misstrauen, Neid, Gier und Eifersucht durchsetzt ist, nicht verletzt zu werden.

Um es noch einmal klar zu sagen: Misstrauen, Neid, Gier und Eifersucht sind reale Gifte, die das zwischenmenschliche Vertrauen untergraben, welches die Basis einer gesunden Gesellschaft bilden sollte.

Als „Sekundärgefühle“ entspringen sie einer fehlgeleiteten Entwicklung des eigenen Selbstwertgefühls und sind Ausdruck und Folge der krebsartigen Werte und Normen eines kapitalistischen Werte- und Gesellschaftssystems.

Betrachten wir genauer, wie sich die „große Trennung“ im Verlauf der psychischen Entwicklung im Menschen herausbildet:

Mit dem Augenblick der Geburt treten dem Kind die Eltern, die Verwandten, Erzieher und Lehrer als Ausdruck des „Gesellschaftscharakters“ gegenüber. Sie beginnen das Kind, welches von Natur aus vielfältige Eigenschaften in sich trägt, nur entsprechend gesellschaftlich hoch bewerteter Kriterien zu erziehen.

So wird zum Beispiel ein christlich erzogenes Kind fast immer ein Christ oder ein in der islamischen Tradition erzogenes Kind fast immer ein Moslem.

Während der „Erziehung“ kommen die Werkzeuge der Belohnung und/oder der Bestrafung von Seiten der Erzieher zum Einsatz, durch deren Anwendung das Kind darauf trainiert wird, die Normen und Werte der Erzieher und somit die der Gesellschaft zu übernehmen.

Im Verlauf dieser Form der „Erziehung“ erlernt das Kind von Anfang an bestimmte, den Normen und Werten der Erzieher entsprechende, Rollen. So ist es zum Beispiel in einem kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem Effizienz und Leistung einen hohen Stellenwert besitzen, unabdingbar, dass dem Kind Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Leistungsfähigkeit, Rationalität und Gehorsam beigebracht werden – weil sie für das Funktionieren des gesellschaftlichen und vor allem des wirtschaftlichen Gesamtorganismus das Fundament bilden.

Eine der fundamentalen Auswirkungen dieses Entfremdungsprozesses ist der Verlust des Mitgefühls, dass in einer von Unterdrückung geprägten Person nicht zur Entfaltung kommen kann.

Ohne einen lebendigen Kontakt zum „Ganzen des Lebens“ aber – seiner Fülle, seiner Spontanität, seiner Kraft und seiner Weisheit – entsteht im erstarrten Menschen daher auf unausweichliche Weise ein unterschwelliges Gefühl des Mangels und der Orientierungslosigkeit.

Kontaktunfähigkeit

Der Verlust eines lebendigen Kontaktes zu seiner Umwelt führt im modernen Menschen daher auch notwendigerweise zu der Einstellung, sein Leben – koste es, was es wolle – alleine meistern zu müssen.

Da der moderne Mensch der eigentlichen Quelle seiner Energie verlustig gegangen ist, versucht er das so entstandene „Leck“ auf verschiedene Art und Weise wieder zu füllen.

Eine der wohl am häufigsten vorkommenden Kompensationserscheinungen ist der Konsum. Durch die Stimulation mit von außen zugeführten Reizen versuchen die Menschen das Gefühl des Mangels und der Orientierungslosigkeit auszugleichen und/oder sich davon abzulenken.1

  1. Texausschnitt, von mir gekürzt und verändert, aus Hollmotz, M.: Das Wesen Der Liebe : BoD, 2011 – ISBN 9783842363755 []

12 Kommentare

  • he23

    Leistung hat auch weiterhin einen hohen Stellenwert finde ich. Die Bauern mussten auch früher ihre Felder bebauen, die Nomaden Früchte sammeln und Tiere jagen um zu überleben. Man darf Neid nicht mit Gerechtigkeitszorn verwechseln. Wenn manche sehr viel arbeiten müssen um gerade etwas über dem Überleben leben zu können und manche sich der Politik, schönen Künste und Intellektualität hingeben, dann werden die viel Arbeitenden irgendwann einmal protestieren und auf mehr Leistungsgerechtigkeit pochen. Wenn gleichzeitig die ganz Schwachen auf der Strecke bleiben und die, die viel Arbeiten sich auch noch um die soweit es halt möglich ist zu kümmern, dann entsteht bei manchen Ohnmacht, Die oberen Kasten in Österreich hohe und niedere Staatlichkeit genannt sagen den BürgerInnen: „Euch wird soviel genommen um den Sozialstaat zu erhalten, wir haben zwar 1/4 Billion € Staatsschulden und die Invaliden müssen jetzt auch arbeiten und um die wirklichen Extremfälle können wir uns flächendeckend nicht kümmern, aber arbeitet lieber bis 75 und haltet euch aus der hohen Politik heraus“ (während wir faschistoide Kontrollinstrumente einführen), dann ist es an der Zeit etwas zu ändern.
    Ich wollte schon überlegen auszuwandern, meine Frau wollte zum Glück nicht, davon laufen ist eh feig, besser man versucht das System zu ändern.
    Man darf kapitalistisch nicht mit liberal verwechseln.
    Liberal heißt freier Handel, zum Vorteil aller, der nicht restriktiv beschränkt ist und nicht auf patriarchaler Dominanz, sondern auf Austausch besteht, seine Situation, aber auch die der anderen zu verbessern. Man steht im Wettbewerb, aber geht es einem schlecht, so hilft man ihm, bis er/sie sich selber helfen kann und dann ist man wieder im fairen Wettbewerb. (streben nach Kräfte messen, nach höheren aber ohne Dominanz)

  • Liebe Hannelore,
    vielen Dank für diesen Artikel. Es wird immer klarer, woran unsere so genannten Zivilisation erkrankt ist. Solcher Art von sich entfremdete Menschen haben dann auch kein Problem damit, mal eben ein Paar Menschen aus ihrem Job zu kündigen, damit die Zahlen der Firma wieder für die Investoren schön aussehen. So verfestigt sich das System immer mehr. Es wir einfach nur noch eine effiziente Gesellschaft im Materiellen und das wichtige Sein bleibt immer mehr auf der Strecke.
    Viele Grüße
    Martin

    • Danke Martin. Bist du dir sicher, dass sich das System immer mehr verfestigt? Erkenntnisse wie in meinem Text könnten doch das Gegenteil bewirken, wenn Menschen nicht an die Probleme im System denken, sondern an ihre eigenen.

      • Du hast Recht, ich hätte eigentlich weiterschreiben sollen. Es sind immer mehr Menschen, die inzwischen sehen, welchen Unsinn wir hier auf Mutter Erde veranstalten. Die Krisen lassen aufmerken und Fragen stellen. Allerdings ist gerade in den fremdgesteuerten Firmen wieder ein Anziehen der Zügel zu bemerken. Profit muss her, die Zahlen müssen stimmen. Also wird Effizienz noch wichtiger.
        Die Hoffnung bleibt und das Internet sei Dank, kommen die notwendigen Informationen für eine zuträglichere Welt immer schneller um die Welt. Aber ob es reichen wird?

      • richard

        Schmunzel, da fällt mir Hans Peter Dürr ein, der bingt es in seinem Buch „Weil es ums Ganze geht“ sehr schön auf den Punkt. Die anderen sind momentan eindeutig in der Überzahl. Allerdings gibt es da einen Menschen, der da Heisenberg hieß, und der hat bewiesener Maßen recht. Da Pendel schlägt mal wieder in die andere Richtung. Oft sind es die übelsten Ereignisse, die eine neue Richtung ermöglichen. Ohne 3. Reich wären wir heute nicht da, wo wir schon sind. Sie ermöglichten den Aufstieg der USA zur Weltmacht und das Desaster in Vietnam, was zu den bekannten weltweit gewaltigen Umwälzungen führte. Von daher ist vielleicht der Turbokapitalismus sein eigener Totengräber.

  • Pingback: Die Krankheit des konkurrierenden Vergleichs « Der Mensch – das faszinierende Wesen

  • Liebe Hannelore,
    ich habe mir wieder erlaubt, Deinen wichtigen Artikel auf ebenfalls meinem Blog zu posten, denn das Thema Konkurrenz ist ein zentrales bei mir.
    Liebe Grüße, Martin

  • mamido

    Danke, Hannelore,

    ich überlege gerade, wie perfekt oder besser perfide ein Zahnrädchen ins andre greift in unser so gepriesenen Zivilisation. Die Tage habe ich mir noch Gedanken über den Selbstwert gemacht und bin zu dem Schluss gelangt, dass es zwei gibt. a) Der den wir über das Außen erfahren und b) der den ich mal so umschreiben möchte: sich selbst etwas wert zu sein, eine Loyalität sich selbst gegenüber.

    • Danke, dass du das aufgreifst! Hat mich auch zum überlegen gebracht. Die 2. Definition ähnelt meiner Auffassung von Integrität: Sich selbst und seinen Idealen treu sein.

      Deine Unterteilung von ‚äußerem‘ und ‚innerem‘ Selbstwert leuchtet mir ein. Ich denke nun noch darüber nach, ob die Erfahrung von außen evtl. eine direkte Folge des eigenen Selbstwerts ist.

      Früher dachte ich, ich brauche keine Anerkennung von außen. Bin mir aber nicht mehr so sicher, ob sich nicht innerer und äußerer Selbstwert gegenseitig verstärkt und zu großer Lebensfreude hoch schaukelt.

      (Mein Leben hat sich von Grund auf verändert, vor 1 Jahr starb mein Mann nach 30jähriger liebevoller Beziehung, und ich bin nun mehr auf andere Menschen angewiesen, d.h. viele neue Freunde.)

      Während ich Erfahrungen mache, ist mir eins klar geworden: Mein Selbstwert/Wohlbefinden ist davon abhängig, ob ich echten Kontakt herstelle, d.h. mich anderen zeige/öffne.

  • Fleckenstern

    Hallo Ihr Lieben, hallo Hannelore,

    das sind so einige Themen, die mich schon längere Zeit intensiv beschäftigen.

    Ich denke, diese Bewertungsmechanismen sind letztlich das Fundament und die Triebfeder auf dem unsere realexistierenden Verhältnisse fußen. Das gilt auch für die schwarze Wolke von Gefühlen, die sich zumeist in uns Getriebenen breit macht.

    Heraushalten kann sich da jede(r) bis zu einem gewissen Grad durch die Konzentration auf das eigene Innere und die Frage: Wie fühle ich mich gerade genau in diesem Augenblick und warum ist das so?

    Wenn ich diese(n) oder jenes besitze, geht es mir dann wirklich besser, bin ich wirklich glücklicher, wie war das, als ich mir dies und jene(n) leisten konnte, wie glücklich war ich auf Dauer? Auf wen oder was starre ich gerade ohne es wirklich zu sehen? Was hat das mit mir zu tun?

    Ganz wird sich wohl niemand den herrschenden Normen entziehen können, allein schon, um nicht zu vereinsamen.

    Die fehlenden sozialen Kontakte, die oft durch den herrschenden Ungeist so vergiftet sind (angeblich basieren fast alle „Freundschaften“ auf der Erwägung, inwieweit man beruflich/materielle Vorteile daraus ziehen kann) sind ein weiterer Baustein und Instrument im Getriebe.

    Ein sehr wichtiger Schritt zur eigenen Existenzsicherung sind bis zu einem gewissen Grad echte soziale Kontakte unabhängig von der Kernfamilie (z.B. Interessensgruppen). Irgendwann stirbt immer ein Partner zuerst. Das ist schwierig, darüber bin ich mir vollkommen klar und ich mag mir momentan nicht wirklich ausmalen, wie es wäre wenn… So eine Art „erweiterte Familie“ im Sinn von Wahlfamilie wäre schön.

    Dabei sind nicht irgendwelche Kontakte wichtig. Ganz im Gegenteil. Wichtig sind Kontakte gerade zu Menschen, die versuchen mental aus dem Moloch herauszukommen. Kontakte zu Menschen, die die Sytematik sehr verinnerlicht haben sind eher schädlich. Manchmal hält man sehr lange, zu lange an dieser Art von Kontakten fest.

    Ein „sich-öffnen“ ist Voraussetzung für echte Kontakte. Warum fällt uns das so schwer? Vermutlich deshalb weil wir uns angreifbar fühlen. Das ist in den realexistierenden Verhältnissen nicht verwunderlich (mir fällt wieder der gepanzerte Mensch ein). Was hilft ist zunächst Zentrierung, dann die richtige Dosierung, die richtige Zeit, die richtigen Menschen und der feste Vorsatz immer wieder einen Anlauf zu wagen.

    Letztlich ist alles wichtig. Die Konzentration auf das eigene Innere, die eigene Individualität ebenso, wie soziale Kontakte,

    vlG,

    Stefan

  • Fleckenstern

    Hallo Ihr Lieben, hallo Hannelore,

    das sind so einige Themen, die mich schon längere Zeit intensiv beschäftigen.

    Ich denke, diese Bewertungsmechanismen sind letztlich das Fundament und die Triebfeder auf dem unsere realexistierenden Verhältnisse fußen. Das gilt auch für die schwarze Wolke von Gefühlen, die sich zumeist in uns Getriebenen breit macht.

    Heraushalten kann sich da jede(r) bis zu einem gewissen Grad durch die Konzentration auf das eigene Innere und die Frage: Wie fühle ich mich gerade genau in diesem Augenblick und warum ist das so?

    Wenn ich diese(n) oder jenes besitze, geht es mir dann wirklich besser, bin ich wirklich glücklicher, wie war das, als ich mir dies und jene(n) leisten konnte, wie glücklich war ich auf Dauer? Auf wen oder was starre ich gerade ohne es wirklich zu sehen? Was hat das mit mir zu tun?

    Ganz wird sich wohl niemand den herrschenden Normen entziehen können, allein schon, um nicht zu vereinsamen.

    Die fehlenden sozialen Kontakte, die oft durch den herrschenden Ungeist so vergiftet sind (angeblich basieren fast alle „Freundschaften“ auf der Erwägung, inwieweit man beruflich/materielle Vorteile daraus ziehen kann) sind ein weiterer Baustein und Instrument im Getriebe.

    Ein sehr wichtiger Schritt zur eigenen Existenzsicherung sind bis zu einem gewissen Grad echte soziale Kontakte unabhängig von der Kernfamilie (z.B. Interessensgruppen). Irgendwann stirbt immer ein Partner zuerst. Das ist schwierig, darüber bin ich mir vollkommen klar und ich mag mir momentan nicht wirklich ausmalen, wie es wäre wenn… So eine Art „erweiterte Familie“ im Sinn von Wahlfamilie wäre schön.

    Dabei sind nicht irgendwelche Kontakte wichtig. Ganz im Gegenteil. Wichtig sind Kontakte gerade zu Menschen, die versuchen mental aus dem Moloch herauszukommen. Kontakte zu Menschen, die die Sytematik sehr verinnerlicht haben sind eher schädlich. Manchmal hält man sehr lange, zu lange an dieser Art von Kontakten fest.

    Ein „sich-öffnen“ ist Voraussetzung für echte Kontakte. Warum fällt uns das so schwer? Vermutlich deshalb weil wir uns angreifbar fühlen. Das ist in den realexistierenden Verhältnissen nicht verwunderlich (mir fällt wieder der gepanzerte Mensch ein). Was hilft ist zunächst Zentrierung, dann die richtige Dosierung, die richtige Zeit, die richtigen Menschen und der feste Vorsatz immer wieder einen Anlauf zu wagen.

    Letztlich ist alles wichtig. Die Konzentration auf das eigene Innere, die eigene Individualität ebenso, wie soziale Kontakte,

    vlG,

    Stefan