Das Leben ist wie ein Film, oder war es umgekehrt?


»Was war nochmal meine Frage?«
Eine lange schmerzliche Pause folgte. »Deine Frage, Richard, war, dass du selbst in deinen besten Tagen niemals herausfinden konntest, weshalb wir überhaupt auf der Welt sind.«

Ich entsann mich. »Und der Film war die Antwort auf die Frage?«
»Ja.«
»So?«
»Du verstehst das nicht?« fragte er.
»Nein.«

»Gewiss war das ein guter Film«, sagte er, »aber selbst der beste Film, der jemals gemacht wurde, bleibt eine Illusion, nicht wahr? Die Bilder auf der Leinwand bewegen sich ja nicht tatsächlich, sie scheinen sich nur zu bewegen. Ein wechselndes Licht, das über eine zweidimensionale Fläche flickert, die im Dunkeln aufgestellt ist.«

»Nun ja.« Allmählich dämmerte es mir.
»Und die anderen Leute, die Menschen, die überall auf der Welt ins Kino gehen, um sich einen Film anzusehen warum tun sie das, wenn es doch nur Illusionen sind?«
»Nun; es ist Unterhaltung«, sagte ich.

»Also zum Vergnügen. Stimmt. Eins.«

»Sie könnten auch was lernen.«
»Richtig. Das ist immer möglich. Lernen. Zwei.«

»Ihre Phantasie wird beflügelt. Eine Flucht.«
»Auch das ist ein Vergnügen. Eins.«

»Aus technischem Interesse. Sie wollen sehen, wie der Film entstanden ist.«
»Lernen. Zwei.«
»Flucht aus dem täglichen Einerlei . . .«
»Flucht. Das hast du bereits aufgezählt.«
»Geselligkeit. Um mit Freunden zusammen zu sein«, sagte ich.
»Sicher ein triftiger Beweggrund, um hinzugehen, aber keiner, um den Film zu sehen. Auch das ist ein Vergnügen. Eins.«

Was auch immer ich anführte, es passte entweder zu eins oder zu zwei: Die Menschen gehen zum Vergnügen ins Kino, oder sie wollen etwas lernen oder beides.

»Und ein Film ist wie das Leben, Don, stimmt das?«
»Ja.«

»Weshalb sollte sich dann jemand ausgerechnet für ein schlimmes Leben entscheiden, zum Beispiel für einen Gruselfilm?«
»Diese Menschen gehen nicht nur zum Vergnügen in einen Gruselfilm, sie wissen es ja schon im voraus.«

»Aber warum?«
»Gefallen dir Gruselfilme?«
»Nein.«
»Siehst du sie dir jemals an?«
»Nein.«

»Aber es gibt Menschen, die viel Zeit und Geld aufwenden, um sich Gruselfilme oder Geschichten, in denen es des Langen und Breiten um die Probleme Dritter geht, anzusehen, die nur Langeweile hervorrufen…?« Er ließ die Frage im Raum stehen.

»Richtig.«
»Du brauchst dir ihre Filme nicht anzusehen, und sie brauchen sich deine nicht anzusehen. Das nennt man Freiheit.«

»Aber warum sollte ein Mensch sich ausgerechnet gruseln oder langweilen wollen?«

»Weil sie glauben, es geschieht ihnen recht. Vielleicht haben sie jetzt jemanden erschreckt, oder sie mögen den Kitzel, den ihnen der Gruselfilm verursacht, oder sie meinen, Filme müssten eben langweilig sein. Kannst du dir vorstellen, dass es sehr viele Menschen gibt, die es, aus durchaus plausibel erscheinenden Gründen genießen, ihren eigenen Filmen hilflos ausgeliefert zu sein? Nein, das kannst du nicht.«

»Nein, das kann ich auch nicht«, sagte ich.
»Ehe du das begreifst, wirst du dich fragen müssen; weshalb manche Menschen unglücklich sind. Sie sind es, weil sie es sich ausgesucht haben, Richard, und das ist in Ordnung.«

»Hmm.«
»Wir sind verspielte Geschöpfe, wir haben gern Spaß, wir sind die Fischotter des Universums. Wir können nicht sterben, wir können uns nicht verletzen, wir können es genauso wenig, wie Illusionen auf einer Leinwand verletzt werden können. Aber wir können uns einreden, wir seien verletzt worden, und es uns in den schrecklichsten Einzelheiten ausmalen. Wir können uns einreden, wir seien Opfer, wir töten oder werden getötet, vom Glück und vom Pech gebeutelt und hin und her gezerrt.«

»Viele Leben lang?« fragte ich.
»Wie viele Filme hast du gesehen?«
»Ach so.«

»Filme über das Leben auf diesem Planeten, auf anderen Planeten; alles, was Raum und Zeit einnimmt, ist nichts als nur Film und nur Illusion«, sagte er. »Aber für eine Weile können wir eine Unmenge Dinge lernen und an unseren Illusionen sehr viel Spaß haben, nicht wahr?«

»Wie weit willst du den Vergleich ausdehnen, Don?«

»Wie weit möchtest du es haben? Du hast dir den Film heute Abend teilweise deshalb angesehen, weil ich ihn sehen wollte. Viele Menschen wählen ein Leben, weil es ihnen Freude macht, Dinge gemeinsam zu tun. Zum Beispiel haben die Schauspieler in diesem Film heute Abend auch in anderen Filmen zusammen gespielt – ob davor oder danach, das hängt davon ab, welchen Film du zuerst gesehen hast. Du könntest sie aber auch gleichzeitig auf verschiedenen Leinwänden sehen. Wir kaufen Eintrittskarten für die Vorstellung, wir bezahlen dafür, weil wir an die Realität von Raum und Zeit glauben wollen … Keins von beiden ist wahr; aber trotzdem kann niemand, der nicht bereit ist, diesen Preis zu bezahlen, auf unserem Planeten, ja überhaupt in einem Raum-Zeit-System existieren.«

»Gibt es. Menschen, die überhaupt kein Leben in der Raum-Zeit haben?«
»Gibt es Menschen, die nie ins Kino gehen?«

»Ich verstehe. Sie lernen auf andere Weise?«
»Richtig, du hast’s erfasst.« Er war offenbar zufrieden mit mir. »Raum-Zeit, das ist eine recht primitive Schule. Aber es gibt viele Menschen, die auf der Illusion, auch wenn sie langweilig ist; bestehen; sie mögen es nicht, wenn die Lichter zu früh wieder angehen.«

[Quelle – zum Lesen wärmstens empfohlen ]

Manche Leute kommen nie ans Licht. Sie vermeiden angestrengt, dass ihnen jemals ein Licht aufgeht. Die Christen zum Beispiel. Über die gibt es da eine kleine Geschichte – aber die erzähle ich morgen.